Transkription der Rede von Bundesminister Sigmar Gabriel anlässlich der Mitgliederversammlung des Deutsch-Russischen Forums e.V. und Festveranstaltung mit Verleihung des Dr. Friedrich Joseph Haass-Preises an Daniil Granin am 17. März 2016
Lieber Matthias Platzeck, sehr geehrte Exzellenz Herr Botschafter Grinin, sehr geehrter Herr Reutersberg, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschen Bundestag,
vielen Dank für die freundliche Einladung, zu ihnen zu kommen und auch zu ihnen sprechen zu dürfen.
In einer Zeit, in der meistens eher schwierige Debatten über das Verhältnis zwischen Deutschland, Europa und Russland die Tagesordnung bestimmen, ist trotzdem das alte Motto immer noch richtig, dass man miteinander statt übereinander reden soll. Ich finde, es gibt angesichts dessen, was der heutige Preisträger in seinem Leben erlebt hat, trotz aller Schwierigkeiten, eigentlich keinen Grund pessimistisch zu sein, weil seine Generation viel größere Schwierigkeiten zu ertragen hatte, viel größere Opfer zu bringen hatte, und trotzdem hat sie nicht den Optimismus verloren und an der gemeinsamen Zukunft gearbeitet hat. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Generation keinen Grund hat, den Kopf in den Sand zu stecken, und auch dafür, dass sich am Ende ein solches emanzipatorisches Engagement immer lohnt.
Meine Damen und Herren, Sie würdigen heute mit dem Dr. Friedrich-Joseph-Haass-Preis einen Mann, der – das hat Herr Grinin eben schon gesagt – aus nachvollziehbaren Gründen heute nicht anwesend sein kann. Er wird allerdings von, wie ich gelesen habe, einer engen Freundin der Familie, Frau Thun-Hohenstein, vertreten. Er wird aber im Laufe des Jahres den Preis selbst erhalten.
Daniil Granin hat ein beeindruckendes literarisches Werk geschaffen, das schon mit sehr vielen Preisen ausgezeichnet wurde. Er verkörpert inzwischen fast ein Jahrhundert russischer Geschichte. Man kann auch sagen: deutsch-russischer Geschichte. Wie wir alle wissen, wurde dieses Jahrhundert auch vom wechselhaften Verhältnis zwischen Deutschland und Russland geprägt, selten im Guten, häufig im Schwierigen und im Schlechten.
Daniil Granin hat über die schicksalshafte Historie unserer Völker geschrieben und gesprochen, in seinen späten autobiographischen Werken und 2014 in seiner Rede im Deutschen Bundestag – nicht weit von hier –, die uns wohl allen noch in sehr guter Erinnerung ist. In seinem Verhältnis zu Deutschland spiegelt sich die grausame Erfahrung des Krieges, aber eben auch der langsame, beschwerliche, beständige Weg der Aussöhnung zwischen unseren Völkern. In seinem 2010 erschienenen Buch „Es war nicht ganz so“ schildert er, wie schwer es ihm zu Kriegsbeginn fiel, die Deutschen zu hassen. Er schrieb: „Wir hatten keine Faschisten vor uns, sondern Deutschland. In der Schule hatten wir Deutsch gelernt. Goethe, Schiller.“
Daniil Granin erlebte dann aber einen fanatischen nationalsozialistischen Feind. Eine Ideologie des aggressiven und expansiven Nationalismus, eine Weltanschauung der Gewalt, den Vernichtungskrieg und die fürchterliche, jahrelange Blockade von Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, von der er im Bundestag so beeindruckend berichtet hat.
Nach dem Krieg fiel es ihm umgekehrt sehr schwer, sich dem Land des früheren Freundes und dann Feindes noch einmal anzunähern. Wen sollte das nach diesen Lebenserfahrungen erstaunen? Staunenswert ist eher, wie er sich von den bitteren Erfahrungen löste und den Neubeginn wagte. Nicht nur in Bezug auf unser Verhältnis zu Russland, sondern ich glaube auch zu allen unseren europäischen Nachbarn tut es uns in Deutschland ganz gut, uns gelegentlich daran zu erinnern, wie viel Mut die Frauen und Männer nach 1945 aufbringen mussten, die kurz zuvor erst von Deutschen überfallen, ausgeraubt und ermordet wurden. Sie luden uns schon kurze Zeit danach an den Tisch der zivilisierten Völker ein, um mit ihnen über die gemeinsame Gestaltung der Zukunft zu sprechen. Wenn man sich heute anschaut, wie mutlos wir manchmal über Europa sprechen, dann, so glaube ich, dürfen wir uns auch an die Frauen und Männer erinnern, die viel mehr brauchten an Mut und Tatkraft, um nach dieser Entwicklung wieder zusammenzukommen. Und ein bisschen kann ja solche Erinnerung auch Kraft und Zuversicht geben für das, was vor uns liegt.
Der Preisträger begab sich auf diese beschwerliche Reise, die er selbst einmal als „langen Weg vom Hass zum Verständnis und zur Freundschaft“ bezeichnete. Dieser zweite Weg nach Deutschland, so Daniil Granin, „kostete mich weit mehr Jahre als der Krieg selber“. Die Deutschen seiner Generation, meine Damen und Herren, sind sicher bis heute dankbar dafür, aber wir Nachfolgenden eben auch.
Keiner wusste das übrigens besser als Helmut Schmidt, der große Bundeskanzler und Sozialdemokrat, der im letzten November gestorben ist. Helmut Schmidt wurde, wie Daniil Granin, 1918 geboren. Schmidt war, wie Granin, Soldat im Zweiten Weltkrieg. Ja, er nahm sogar am Angriff auf Leningrad teil. Viele Jahre später, 2014, beim Besuch Granins in Berlin, lernten sich die beiden kennen. Und in der Folge schrieb Helmut Schmidt ein Vorwort für die deutsche Ausgabe von Granins Roman „Mein Leutnant“, die im letzten Jahr erschien. Darin verweist Schmidt auf die Parallelität der beiden Lebensläufe. Er schreibt: „Damals haben Granin und ich an derselben Front auf zwei verschiedenen Seiten gekämpft. Und wir hatten Glück. Wir haben beide den schlimmen Krieg überlebt. Heute treffen wir uns als Freunde, nicht als Feinde. Das ist ein wunderbares Geschenk der Geschichte.“
Granin und Schmidt wurden beide „in den Fleischwolf des Krieges geworfen“, wie Granin das ausdrückte, und beide wussten und wissen schon deshalb, was für ein unschätzbares Gut der Frieden ist. Diese Erfahrung und dieses Wissen teilten sie mit Menschen wie Egon Bahr, einem weiteren großen Sozialdemokraten, der auch im letzten Jahr gestorben ist. Der Architekt der Entspannungspolitik von Willy Brand erhielt im letzten Jahr den Dr. Friedrich-Joseph-Haass-Preis des Deutsch-Russischen Forums.
Egon Bahrs Maxime lautete stets: In Kontakt bleiben, das Gespräch suchen, die Sprachlosigkeit überwinden. Er ist übrigens niemals dafür eingetreten, Unterschiede zu leugnen oder die verschiedenen Standpunkte zu verschweigen, denn er sagte immer: „Trotz unterschiedlicher Standpunkte im Gespräch bleiben“.
Diese Maxime, finde ich, gilt auch heute für alle, die politische Verantwortung tragen, denn Sprachlosigkeit und Kontaktabbruch führen dazu, dass wir aus der Distanz übereinander, aber nicht mehr miteinander reden. Deshalb ist die Bedeutung des Deutsch-Russischen Forums so hoch einzuschätzen. Es organisiert seit mehr als zwei Jahrzehnten den Dialog und die Begegnung zwischen der russischen und der deutschen Gesellschaft. Das ist seit Bestehen des Forums nie so nötig gewesen wie heute. Sie sind heute die unverzichtbare Brücke über eine leider größer gewordene Distanz. „Ohne Russland kann es in Europa keinen Frieden geben.“ Mit diesen Worten endete Schmidts Vorwort in Granins Buch, und das gilt besonders auch in diesen Tagen.
Meine Damen und Herren, der deutsch-russische Dialog ist heute belastet durch politische Differenzen. Er leidet unter dem Konflikt in der Ukraine, er leidet unter dem Konflikt in Syrien, er ist belastet durch Differenzen über die Achtung von Menschenrechten und demokratische Meinungsvielfalt. Der Dialog leidet aber auch darunter, dass beide Seiten immer nur die ihnen jeweils genehmen Ausschnitte der Realität wahrnehmen. Das, was die eigene Sichtweise stützt, und vor allem das, was den eigenen Interessen dient, wird in den Mittelpunkt gestellt. Das andere wird meistens verschwiegen oder diskreditiert.
So nehmen die Kritiker Russlands nur die mangelnden Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Beschlüsse wahr, nicht aber den Anteil, den die ukrainische Regierung daran hat. Die Kritiker Russlands werfen dem Land vor, internationale Krisen zu verschärfen, vergessen aber den russischen Beitrag zur Eindämmung von Konflikten wie z.B. den über das Nuklearprogramm im Iran. Man darf vielleicht mal daran erinnern, dass das einer der wenigen Konflikte ist, der durch Verhandlungen und Kompromissbereitschaft und ohne einen erneuten Waffengang gelöst wurde. Es ist ein gutes aktuelles Beispiel dafür, dass sich Gespräche, auch über die schwierigsten Situationen, lohnen und es keine Alternative dazu gibt. Auch da hat Helmut Schmidt Recht: „Hundert Stunden verhandeln ist besser, als eine Minute schießen.“
Doch auch in der anderen Richtung liegt einiges im Argen. Russische Medien unter Regierungseinfluss fahren in der Flüchtlingskrise eine Kampagne gegen Deutschland, die wenig mit der Realität zu tun hat und die wirklich nicht akzeptabel ist. Bedrückend sind die nicht abreißenden Berichte darüber, dass deutsche Parteien vom rechten Rand durch Russland unterstützt werden. Auch der Front National in Frankreich, in Deutschland die AfD und selbst die NPD erhalten Einladungen zu Treffen von nationalistisch-völkischen Gruppen in Russland. Das trägt nicht gerade dazu bei, dass Teile der politischen Demokratie in Deutschland ein besonderes Verständnis für Russland entwickeln.
Verzerrungen, Vorbehalte, negative Zuschreibungen verbreiten sich, wo die unmittelbare Begegnung von verantwortungsbewussten Persönlichkeiten nicht mehr stattfindet. Ich plädiere in Deutschland sehr dafür, dass unser Russlandbild nicht einseitig wird, dass wir nicht die Probleme verschweigen und übrigens unseren Standpunkt in Europa auch nicht verlassen, aber dass wir für die Lage des Landes ein besseres Verständnis gewinnen. Nicht um Positionen gegeneinander auszutauschen oder um Unterschiede zu verschweigen. Aber der Versuch, miteinander vorwärts zu kommen, setzt immer voraus, dass man sich als allererstes in die Position des Gegenüber versetzt. Erst wenn es einem gelingt zu verstehen, was den anderen treibt, bewegt, was er befürchtet, erst dann gibt es Möglichkeiten, gemeinsame Wege zu eruieren. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass verzerrte Bilder entstehen, ein grob verzerrtes Deutschlandbild in Russland ebenso wie umgekehrt. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir nicht hinnehmen dürfen. Hier brauchen wir einen Neuanfang des deutsch-russischen Dialogs.
Dazu gehört es anzuerkennen, wo unsere Länder eine konstruktive internationale Rolle einnehmen. Herausforderungen der Globalisierung und der Internationalisierung von Konflikten wie der Flüchtlingskrise sollten wir im vollen Ernst der Lage diskutieren. Moralisierender Hochmut auf deutscher Seite ist ebenso falsch wie Häme auf der anderen Seite.
Deutschland nimmt die oft beschworene und von uns oft verlangte internationale Verantwortung wahr. In dem Versuch, eine humanitäre Lösung für das Elend der Flucht zu finden, strebt die Bundesregierung eine internationale Verständigung an. Das ist das Ziel auch des heute begonnenen Europäischen Rates, und es ist meine feste Überzeugung, dass nur gemeinsame europäische Lösungen wirklich zu einer besseren Situation führen werden. Ursachen der Flucht zu bekämpfen, den syrischen Waffenstillstand zu konsolidieren und den Krieg zu überwinden, das sollte das gemeinsame Interesse Europas, Deutschlands und Russlands sein.
Ich glaube sogar, dass die Rolle Russlands im Iran-Konflikt – aber auch, wenn es jetzt gemeinsam in Syrien gelingt, zu tatsächlicher Verständigung, Waffenruhe und Wiederaufbau des Landes zu kommen – auch einen Beitrag dazu leisten kann, den Konflikt in der Ukraine leichter zu lösen, und dass es uns auch leichter fallen wird, wieder zueinander zu finden.
In Syrien und in der Ukraine erleben wir, dass Frieden alles andere als selbstverständlich ist. Wir erleben auch, dass russische und europäische Regierungen im Konflikt sind. Dennoch bleibt der Satz gerade für Syrien und die Ukraine wahr: Nicht gegen, sondern nur mit Russland kann es einen Frieden geben. Auch wenn wir in Deutschland und Europa die Annexion der Krim für völkerrechtswidrig halten, werden wir trotzdem Wege zur Verständigung mit Russland suchen müssen.
Meine Damen und Herren,
wir kennen alle die politischen Gegensätze zwischen Russland und Europa im Ukraine-Konflikt und auch in der Bewertung des Assad-Regimes in Syrien. Und doch haben wir gemeinsame Interessen und können sie nutzen. Die Stabilisierung im Nahen und Mittleren Osten gehört dazu. Es war ein gutes Zeichen und ein Beweis, was uns gelingen kann – ich habe es schon gesagt –, dass gerade Russland mitgeholfen hat, den Atomkonflikt um den Iran zu entschärfen. Es ist ein gutes Zeichen und eine Ermutigung, dass die Genfer-Gespräche zu einem Waffenstillstand geführt haben, der alles in allem hält und uns Luft verschafft für weitere Gespräche.
Daran hat Russland einen großen Anteil, das wird wohl niemand bestreiten können. Russland ist als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und aufgrund seiner strategischen militärischen Fähigkeiten in einer besonders verantwortungsvollen Rolle. Die intensive Kooperation zwischen den USA und Russland ist unbedingt erforderlich. Das ist eine politische Grundlinie, die Deutschland sehr unterstützt. Gemeinsame Krisenbewältigung auf Augenhöhe und in enger wechselseitiger Einbindung in die Kommunikation: das muss unser Ziel sein. Man sollte niemals die Dynamik unterschätzen, die aus solchen erfolgreichen internationalen Initiativen erwachsen kann. Wir sollten deshalb in den verfügbaren Foren der Zusammenarbeit, wie dem NATO-Russland-Rat und der OSZE, den Dialog wieder aufnehmen und verstärken.
Ich bin der festen Überzeugung, dass auch bei der Umsetzung der Minsker-Beschlüsse und der Beilegung des Ukraine-Konflikts große Fortschritte möglich sind. So äußerte sich der amerikanische Außenminister John Kerry beim Weltwirtschaftsforum in Davos, und so äußerte sich auch mein französischer Kollege Emmanuel Macron in Moskau. Er sagte wörtlich: „Das Ziel, das wir alle teilen, ist es, im kommenden Sommer die Sanktionen aufzuheben, weil der Minsk-Prozess respektiert wird.“ In der Tat muss das unser gemeinsames Ziel sein.
Bevor wir dieses Ziel hoffentlich im Sommer erreichen, möchte ich die institutionalisierte Zusammenarbeit mit Russland in den nicht von den EU-Sanktionen betroffenen Wirtschaftsbereichen wiederbeleben. Darauf habe ich mich zuletzt im Februar mit meinem russischen Kollegen Uljukajew in Berlin am Rande einer Konferenz der Handelskammern verständigt. Wir wollen beide daran arbeiten, und wir wollen vor allen Dingen beide Vorreiter dieser Entwicklung sein.
Meine Damen und Herren, die Beziehungen zu Russland haben für Deutschland und Europa eine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Russland ist und bleibt einer der wichtigsten Energielieferanten, und Russland war immer, auch zu Zeiten der Sowjetunion und des schwierigsten Kalten Krieges, ein verlässlicher Partner. Es macht wenig Sinn, jeden Tag in Europa eine Debatte zu führen, als sei eine Kooperation im Feld der Energie sozusagen die permanente Bedrohung des Einfalls der früheren Sowjetunion in Europa. Das hat damals nicht stattgefunden und ist auch heute eine völlig unsinnige Diskussion.
Deutschland und Russland haben das gemeinsame Interesse, den Handel wiederzubeleben und auch neue institutionelle Arrangements zu treffen. Eine Annäherung zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Wirtschaftsunion könnte deshalb ein sinnvoller Schritt sein. Ich wiederhole, was ich vor einem Jahr in Davos gesagt habe: Natürlich ist Waldimir Putins Idee einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok heute eine Vision und nicht so schnell zu erreichen, aber der menschliche Fortschritt lebt von solchen Visionen, und wenn Europa mit den Vereinigten Staaten ein Freihandelsabkommen anstrebt, sollte es mit gleicher Kraft ein solches Freihandelsabkommen natürlich auch mit der Russischen Föderation anstreben. Ich weiß, das kommt nicht morgen, aber es ist ein Ziel, bei dem wir wieder zeigen können, dass wirtschaftliche und politische Beziehungen einander befruchten.
Die deutsche Wirtschaft ist dem russischen Markt treu geblieben. Unternehmerinnen und Unternehmer wissen, welches Potenzial Russland repräsentiert und wie viel wir gemeinsam gewinnen können. Der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor einigen Jahren eine deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft entworfen, als ein strategisches Projekt für das 21. Jahrhundert. Ich glaube, diese Perspektive verdient es, wiederentdeckt zu werden. Denn wir alle wissen, dass die schwierige wirtschaftliche Entwicklung in Russland natürlich nicht an den Sanktionen liegt, sondern dass die Kooperationsfelder zu gering geworden sind.
In enger wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Kooperation hat gerade die europäisch-russische Marsexpedition in Baikonur einen Bilderbuchstart hingelegt. Man fragt sich, warum wir eigentlich auf dem Mars gut zusammenarbeiten können, und das hier unten so schwierig ist. Aus solcher Kooperation wächst, wie ich glaube, auch Respekt, Vertrauen und Stolz auf gemeinsame Leistungen. Davon brauchen wir mehr. Wenn wir gemeinsam zum Mars fliegen können, dann können wir sicher auch unsere politischen Beziehungen neu starten.
Wie das geht, demonstrieren Vertreter der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. So schloss sich im vergangenen Jahr eine Gruppe mit mehr als 40 deutschen und russischen Unternehmern und Verbänden zu einer bilateralen Plattform zusammen. Sie verfolgen das gleiche Ziel wie der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft bei seiner Gründung im Jahr 1952: Sie wollen die Sprachlosigkeit überwinden. Aber auch die Kontakte zwischen Städten und Gemeinden, der Jugendaustausch, das deutsch-russische Jugendjahr 2016/2017, Kultur und Sport, Literatur, Theater, die ganze Tiefe des intellektuellen Austauschs – davon brauchen wir dringend wieder mehr.
Wir sollten immer an die Veränderbarkeit der politischen Rahmenbedingungen glauben und uns den Willen, diese zu verbessern, immer erhalten. Das war die wichtigste Grundlage der Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs: Der Glaube, dass kleine einvernehmliche Schritte der Veränderung dem Frieden und der Freiheit auf lange Sicht am besten dienen. Die Überzeugung, dass Verständigung der beste Weg zur Lösung von Konflikten ist, und die Verantwortung, die Erneuerung der Friedensordnung mit den Mitteln der Diplomatie zu schaffen und mit keinen anderen Mitteln: Das, glaube ich, ist eine gute Lehre aus dem zweiten Teil des letzten Jahrhunderts für den Beginn dieses Jahrhunderts.
Der Frieden ist ein Geschenk, das man sich durch stetige Arbeit verdienen muss. Die Geschichte zeigt uns, dass er uns allen am meisten dient. Wohlstand und Sicherheit für unsere und die folgende Generation – das kann uns gemeinsam leiten.
Meine Damen und Herren,
Daniil Granin hat einmal geschrieben: „Mir ist eine Welt gegeben worden, die ständig kämpft, eine harte Welt, mit wenig Lächeln, mit viel Finsternis und wenig Sonne.“ Er selbst hat dazu beigetragen, dass diese Welt heller und freundlicher geworden ist.
Ich finde, man kann ihm gut als Vorbild folgen. Bei dem aktuell schwierigen deutsch-russischen Verhältnis sind kleine Schritte nach vorn schon ein großer Fortschritt. Ich glaube, wir sollten diese Schritte mutig gehen, damit es mehr Sonne, mehr Lächeln und mehr Helligkeit und etwas weniger Schwermut gibt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!