Stellungnahme des Vorstandes des Deutsch-Russischen Forums zum bevorstehenden Dialog der Mitglieder des Deutsch-Russischen Forums am 23. März 2022
Berlin, 22. März 2022. Kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat das Deutsch-Russische Forum eine Erklärung abgegeben, in der es den Überfall als einen „schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts“ verurteilt und „sich solidarisch erklärt mit den Menschen in der Ukraine und allen, die durch die untragbare und verhängnisvolle Entscheidung Russlands Leid erfahren müssen“. Auch jetzt, fast 4 Wochen nach Kriegsausbruch sind unsere Gedanken bei der leidgeprüften Bevölkerung der Ukraine, den unzähligen Opfern und den Menschen auf der Flucht.
Das Forum sieht sich auch „an der Seite derjenigen Russinnen und Russen, die sich gegen diese Entscheidung stellen“.
Entschieden wenden wir uns gegen jegliche Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland.
Für das Deutsch-Russische Forum bedeutet der von Präsident Putin und der russischen Regierung ausgelöste Krieg gegen das Nachbarland Ukraine einen tiefen Einschnitt in unser Selbstverständnis und die satzungsmäßigen Ziele für Völkerverständigung mit Russland und seine auf die russische und deutsche Zivilgesellschaft ausgerichtete Arbeit – eine Weiterführung unserer Arbeit als „business as usual“ kann es nicht geben.
Angesichts dieser Situation sind wir im Vorstand der Meinung, dass das Forum seine Arbeit und sein Selbstverständnis hinterfragen und neu definieren muss. Diesen Prozess wollen wir in engem Austausch mit unseren Mitgliedern und anderen Unterstützern beginnen.
Nach dem 24. Februar 2022 haben wir zunächst alle Veranstaltungen und Projekte ausgesetzt, die Arbeit des Kuratoriums wurde suspendiert. Nach dem Rücktritt von Matthias Platzeck als Vorsitzender wollen wir als Vorstand die Handlungsfähigkeit des Forums und insbesondere der Geschäftsstelle aufrechterhalten, den Prozess der Neuausrichtung des Forums anstoßen und mit einer turnusmäßigen Neuwahl und Neubesetzung des Vorstandes auf einer Mitgliederversammlung im Frühjahr 2023 diesen Prozess abschließen.
In Bezug auf die zukünftige Arbeit des Forums gehen wir derzeit von folgenden Fragenkomplexen aus, ohne dem Mitgliederdialog vorgreifen oder ihn einschränken zu wollen:
Feedback, Aufarbeitung und Kritik
- Der Blick in die Zukunft erfordert eine Aufarbeitung der Vergangenheit, dazu zählt auch eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Arbeit des Forums. Leider müssen wir heute eingestehen, dass wir Tendenzen in der russischen Politik und der russischen Gesellschaft, die unsere Arbeit mit dem Ziel der Völkerverständigung und Aussöhnung unserer Völker konterkariert haben, in der Vergangenheit nicht kritisch genug entgegengetreten sind. Daraus müssen wir die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen und uns von diesen Handlungen distanzieren.
- Für die Zukunft schließen wir Projekte mit staatlichen Behörden und Strukturen aus – mit Kriegstreibern und Unterstützern der Putinschen Aggressionspolitik gibt es keine Zukunft in unserer Forumsarbeit. Zu einer Aufarbeitung zählt auch eine konsequente Trennung von Sponsoren und Projektpartnern, die nicht unsere Grundwerte von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde mit uns teilen.
Handeln in der Gegenwart
- Wie soll der Meinungsprozess in der Mitgliedschaft für eine Neuausrichtung des Deutsch-Russischen Forums e.V. organisiert werden? Der Dialog am 23.03. soll hierzu den Auftakt bilden. Eine wichtige Fragestellung ist, mit welchen Partnern in Russland wollen wir zukünftig Projekte und Veranstaltungen durchführen und kann/soll das Forum – ohne die Menschen in Russland einem Risiko auszusetzen – weiter Ansprechpartner für Bürger und Mitglieder sein?
- Mit welchen Partnern wollen wir zukünftig in Deutschland arbeiten?
- In der Vergangenheit waren Politik und Wirtschaft, Kultur, Nachwuchsförderung und regionale Zusammenarbeit die Schwerpunkte unserer Arbeit, welchen sollten wir uns in Zukunft zuwenden?
- In der aktuellen Situation stellt sich uns vordringlich die Frage, wie wir unseren Beitrag für eine Rückkehr zum Frieden und zur Völkerverständigung zwischen Russen und Ukrainern leisten können. Das gilt insbesondere für unser Zusammenleben in Deutschland.
Blick in die Zukunft
- Wie kann das Deutsch-Russische Forum e.V. seiner Rolle künftig gerecht werden? Wie können der Mehrwert und das Alleinstellungsmerkmal des Forums in einer durch Repression gekennzeichneten gesellschaftlichen Situation in Russland zur Geltung gebracht werden?
- Soll das Forum mittelfristig einen engeren Anschluss an die deutsche Außenpolitik z.B. durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Petersburger Dialog e. V. ins Auge fassen?
- Wird eine Neuausrichtung als Mitgliederverein (wie bisher) oder eine öffentlich geförderte Vereinsstruktur mit entsprechenden Konsequenzen für die Förderung angestrebt?
Unser Fragenkatalog ist nicht abschließend, wir wollen hiermit Impulse und Eckpfeiler für den anstehenden Dialog bieten und freuen uns auf den Austausch mit Ihnen, den Mitgliedern des Deutsch-Russischen Forums.