Herr Wiese, Sie sind seit einem Jahr Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft im Auswärtigen Amt und haben 2018 an den Potsdamer Begegnungen und deutsch-russischen Parlamentarier Treffen in Moskau teilgenommen. Welche Rolle kommt dem Format der Potsdamer Begegnungen in Ihrer Arbeit als Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland zu?
Die Potsdamer Begegnungen haben ihren festen Platz als Dialogforum für Parlamentarier. Sie sind etwas stärker auf die politische Diskussion ausgerichtet als der Petersburger Dialog mit seinen vielen thematischen Arbeitsgruppen. Der politische Dialog bleibt wichtig. Deshalb hat Außenminister Heiko Maas auch gemeinsam mit dem russischen Außenminister Lawrow die Schirmherrschaft übernommen. Ich erinnere mich gut an das Treffen in Moskau. Die Debatten waren kontrovers. Aber ich bin sicher, dass der Austausch für alle Seiten gewinnbringend war.
Sie werden bei den Potsdamer Begegnungen am 15. Mai zum Themenkomplex „Veränderte Zeiten: Deutschland, Russland und die Europäische Union“ einen Impulsvortrag halten. Vor welchen Herausforderungen stehen die deutsch-russischen und die europäisch-russischen Beziehungen aktuell?
Wir müssen uns auf die Grundlagen unserer Zusammenarbeit besinnen. Heutige Herausforderungen können wir nur gemeinsam in Europa bewältigen. Die europäische Einigung hat für Deutschland zentrale Bedeutung. Auch die Beziehungen zu Russland werden sich in diesem Rahmen fortentwickeln. Eine Spaltung der Europäischen Union wird niemandem helfen. Im Gegenteil: Wir müssen auch Organisationen wie die OSZE und den Europarat und ihre Prinzipien stärken. Ganz konkret würde es uns sehr viel weiter bringen, wenn die Minsker Vereinbarungen endlich vollständig umgesetzt werden.
Weitere Themen der diesjährigen Potsdamer Begegnungen sind „Globale Risiken: Hat der Multilateralismus noch eine Chance?“, „Wirtschaftskooperation: (De)Globalisierung, Lokalisierung, Digitalisierung“ und „Sicherheitsrisiken: Was bedeutet das Ende des INF-Vertrags für Europa?“ Was erwarten Sie von den anstehenden Gesprächen?
Vor allem erwarte ich einen konstruktiven Austausch. Es wäre zu viel verlangt, dass wir uns überall einig werden. Aber wir werden sicherlich auch gemeinsame Interessen entdecken. Deutschland und Russland können davon profitieren, wenn globale Entwicklungen, die Digitalisierung der Wirtschaft ebenso wie Klimaschutz und Rüstungskontrolle, multilateral gestaltet werden. Versuche, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts rein national zu bewältigen, werden keinen Erfolg bringen. Wirksam sind gemeinsame Lösungen, auch wenn sie mühsam sind und Kompromisse erfordern, an die man sich dann halten muss.
Im April dieses Jahres findet zum 4. Mal das Jugendforum der Potsdamer Begegnungen in Moskau statt. Wie wichtig ist der Austausch der jungen Generationen zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen der deutsch-russischen Beziehungen und was bedeutet dieser Austausch für die „großen“ Potsdamer Begegnungen?
Es ist mir besonders wichtig, die Jugend für Engagement in den deutsch-russischen Beziehungen zu begeistern. Eine neue Generation hat den Kalten Krieg nicht mehr bewusst miterlebt und durch die Digitalisierung einen anderen Blick auf grenzübergreifende Probleme. Wichtig bleibt aber auch, Verständnis für die Eigenheiten der Länder zu entwickeln, die sich aus der Geschichte ergeben. Viele, die sich in den deutsch-russischen Beziehungen engagieren, sind durch die gemeinsame Geschichte geprägt, durch die Friedensbewegung und die Ostpolitik. Darauf können wir aufbauen, indem wir Zukunftsthemen aufgreifen, die die junge Generation besonders bewegen. Dazu ist es dann auch wichtig, dass wir die Visavergabe für Personen bis zu 25 Jahren liberalisieren.
Vom 25. bis 28. Juni findet die XV. Deutsch-Russische Städtepartnerkonferenz im Kreis Düren statt. Welche Rolle nimmt der Austausch auf kommunaler Ebene ein, wenn es in der „großen“ Politik kriselt?
Kommunen sind den Bürgerinnen und Bürgern besonders nah. Dort werden handfeste Bedarfe geregelt: Müllentsorgung, saubere Straßen, eine funktionierende Infrastruktur, ein gesundes soziales Miteinander. Metropolen wie Moskau und Berlin haben Erfahrungen auszutauschen, dasselbe gilt für Rothenburg ob der Tauber und Susdal. Auch die Hansestädte treffen sich später in derselben Woche zum Internationalen Hansetag in Pskow, nächstes Jahr findet dieser in meiner Heimatstadt Brilon statt. Das Themenjahr der kommunalen Partnerschaften mit der Abschlussveranstaltung im Auswärtigen Amt im September, an der beide Außenminister teilgenommen haben, hat eindrucksvoll gezeigt, wie viel Potenzial und Engagement es in den Kommunen gibt.
Im Juli wird Matthias Platzeck, Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums e.V., zu Ihnen nach Meschede kommen. Was planen Sie für das Treffen?
Seit Jahren veranstalten wir die „Hochsauerlandgespräche“ gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese hat kürzlich Bürgerinnen und Bürger aus mehreren Staaten, z.B. Deutschland, Russland, die Ukraine und Polen, nach ihrer Einschätzung zu Frieden und Sicherheit und möglichen Bedrohungen befragt, mit interessanten Ergebnissen. Hierüber wollen wir reden. Letztlich muss es uns darum gehen, dass die Menschen in Europa in Frieden und ohne Angst leben können.