Sich nah sein, aber niemals zusammen gehören
Am 24. September fand die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag statt. Im Vorfeld ging es nicht nur innenpolitisch heiß her. Besonders auch die Vorschläge der Parteien zum Umgang mit Russland standen im Fokus der Bürger und Wähler. Zur Wahl schnitten einige Parteien sehr viel schlechter als erwartet ab, andere um einiges besser. Die Regierungsbildung wird schwierig und auf jeden Fall anders als bisher. Dmitri Trenin, Direktor des Moskauer Carnegie-Zentrums, wagte zwei Tage nach der Wahl eine Analyse der Ergebnisse im Kontext der Beziehungen Deutschlands zu Russland. Johann Möller moderierte den Abend, bei dem auch die Fragen des Publikums im Fokus standen.
In seinen einleitenden Worten beschrieb Möller die Wahl als einen Donnerschlag, den man bereits vorher leise anrollen hörte, ihn aber nicht wahrhaben wollte. Ihm falle auf, dass die russischen Medien sehr nüchtern auf die deutsche Wahl reagieren und sich auch nicht an der „Quittung für Merkel“ weideten.
Daraufhin präsentierte Trenin seine Einschätzung der Wahlergebnisse. Er stellte fest, dass es Merkel jetzt nicht leicht fallen werde, Schritte auf der internationalen Bühne auszuführen. Allerdings wolle er sie auch nicht unterschätzen und erwarte, dass die Kanzlerin gerade durch diese aktuellen Herausforderungen neue Wege gehen und Möglichkeiten finden wird, um die Lage zu verbessern. Außerdem ermunterte Trenin zur Gelassenheit und erinnert an die Befürchtungen vor drei Jahren nach der Ukraine-Krise und der Entfremdung zwischen Europa und Russland. Auch die damals erwarteten Eroberungen Russlands seien nicht eingetreten, russische Streitkräfte besetzten weder das Baltikum noch Polen. Vor einem Jahr hätte Trenin am meisten Angst vor einer Konfrontation der USA mit Russland gehabt, wozu es aber nicht gekommen sei, da Clinton nicht gewählt wurde. Es gäbe also durchaus gute Nachrichten. Für die Zukunft der Beziehungen Deutschlands und Russlands schlägt Trenin vor, sich auf die Bereiche zu konzentrieren, wo Überschneidungen existieren und damit eine neue Dynamik zu entwickeln.
Die derzeitige Situation mit der Ukraine sei inakzeptabel für Russland und müsse schnellstens deeskaliert werden. Die Verhandlungen in Minsk wären gescheitert, weil sie für Russland, aber nicht für die Ukraine vorteilhaft waren. Für Russland wäre es jedoch gut, wenn der Konflikt bald beigelegt würde, um sein Image aufzubessern. Trenin äußert seinen Wunsch, die Chance zu nutzen und eine ungefährlichere Seite im Geschichtsbuch Europas aufzuschlagen. Er führt weiter aus, dass das wahre Ziel der deutschen und russischen Beziehungen zwar noch in weiter Ferne liege, aber man dafür jetzt neue Normen einführen müsse. Respekt und Vertrauen müsse die Basis sein sowie auch Akzeptanz dafür, dass Deutsche und Russen sich nah sein könnten, aber niemals zusammengehören würden. Man müsse sich über Verbindendes, aber auch Unterscheidendes bewusst sein. Trenin fordert, in der derzeitigen Situation zwischen Deutschland und Russland den Zustand einer „friedlichen Koexistenz“ nach Chruschtschow zu erzeugen und eine enge Kooperation zwischen Deutschland, Russland und Europa zu schaffen. Auch wenn heutzutage häufiger wieder von einem Kalten Krieg gesprochen würde, wäre es doch noch lange nicht so weit, da zwischen den Ländern noch Interaktion herrsche.
Gerade US-Präsident Trumps wegen sei ein neuer starker Zusammenhalt innerhalb Europas mit Blick auf Deutschland und Frankreich wichtig. Beide Länder hätten ihre Schwächen – Deutschland historische und Frankreich wirtschaftliche –, könnten aber gemeinsam die Rolle des Friedensstifters in Osteuropa übernehmen. Was die Zusammenarbeit mit Russland angeht, solle nicht auf die Sanktionen hingearbeitet werden, sondern oberstes Ziel sollte die Vertrauensbildung sein.
Eine der Publikumsfragen griff das auf und fragte, wie dies zu erreichen wäre. Trenin antwortete, dass es hierfür wichtig sei, keine Ultimaten zu stellen, sondern Gesprächsthemen anzubieten. Außerdem existierten genügend Probleme, bei denen eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland erforderlich wäre, sodass man sich auf diese konzentrieren solle.
Eine andere Frage zielte auf die Berichterstattung in den Medien ab. Trenin äußerte daraufhin seine Hoffnung, dass eine neue Generation von Germanisten in Russland heranwachsen würde, die einen anderen Blick haben und den Russen auch zeigen, wie Deutsche Russland sehen. Wichtig wäre, auf so aufgeladene Begriffe wie Patriotismus und Heimat zu verzichten.
Als ein Gast aus dem Publikum vorschlug, es könne doch auch sein, dass sich Russland jetzt einfach mehr China statt Deutschland zuwenden würde, betonte Trenin, dass Russland sich weder als europäisches, noch asiatisches, noch eurasisches Land verstehe. Es sei eben Russland und würde als solches selbständig in alle Richtungen agieren und sich pragmatisch an denjenigen richten, der Einfluss und Macht habe. So auch, falls Deutschland durch eine Jamaika-Koalition gelähmt würde, worauf eine andere Publikumsfrage abzielte.
Im Anschluss an die zweistündige Veranstaltung konnten sich die Gäste bei einem Get-Together zu weiterführenden Gesprächen im persönlichen Kreis treffen.
Text: Viktoria Gonschorek
Fotos: Sebastian Nitzsche