Am 9. April 2018 lud das Deutsch-Russische Forum e.V. zum FORUM IM DIALOG mit Prof. Dr. Lew Gudkow, Direktor des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum in Moskau. Im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen in Russland am 18. März 2018 sprach Gudkow zum Thema „Russland nach den Wahlen. Bedeutung für Deutschland und Europa. Eine Analyse“. Prof. Dr. Jörg Baberowski, Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin, kommentierte den Vortrag.
Über 100 Personen, darunter Forums-Mitglieder, Interessierte und Pressevertreter, waren in die Repräsentanz der EWE AG in Berlin am Pariser Platz gekommen, um mit den beiden Wissenschaftlern über das Wahlergebnis und die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu diskutieren. Zur Begrüßung sprach Bernhard Kaster, MdB a.D. und Mitglied des Vorstands des Deutsch-Russischen Forums e.V., ein Grußwort.
Prof. Dr. Lew Gudkow und Prof. Dr. Jörg Baberowski boten dem Publikum zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Wahlen und die aktuellen politischen Verhältnisse in Russland. Während Gudkow den patriotischen Kurs der Regierung und das Fehlen einer glaubhaften Opposition bemängelte, hob Prof. Baberowski darauf ab, dass Putin für innenpolitische Stabilität sorge und daher von einem Großteil der Bevölkerung als positiv wahrgenommen werde. Gudkow argumentierte, dass in Russland die Hoffnungen auf einen politischen Wechsel nach dem Zerfall der Sowjetunion leider nicht erfüllt wurden. Das Land werde immer noch nicht demokratisch regiert und es fehle der Rechtsstaat. Baberowski wiederrum argumentierte, man könne auf Russland nicht den westlichen Maßstab anwenden, da das Land auf keine langjährige demokratische Tradition zurückblicken könne.
Lew Gudkows Analyse zum russischen Wahlergebnis
Gudkow kritisierte den Ablauf der Wahlen in Russland, die für einen Großteil der Bevölkerung einen „erzwungener Konsens“ darstellten. Für 51% der Russen sei die Wahl nur eine Imitation einer demokratischen Wahl gewesen, so Gudkow. Besonders stark ausgeprägt sei die Skepsis unter Großstädtern. Weiterhin bemängelte er, dass die staatlich gesteuerten Medien im Vorfeld starken Einfluss auf die Bevölkerung ausgeübt hätten. Die Kandidaten der Opposition seien in den Medien als schwach und regierungsunfähig dargestellt worden. So zum Beispiel die TV-Moderatorin Xenia Sobtschak, Tochter von Anatoli Sobtschak, dem früheren Bürgermeister von Sankt Petersburg und politischen Ziehvater von Wladimir Putin. Über 50 % der befragten Personen in den russischen Regionen hatten ein negatives Bild von ihr. An ihre Person geknüpft war das Narrativ, dass mit der Wahl von westlich eingestellten Politikern, ein moralischer Verfall in Russland eintreten werde. Der einzige Kandidat, der Putin wahrhaft Konkurrenz hätte machen können, Alexej Nawalny, war nicht zu den Wahlen zugelassen worden. Zwar hätte auch Nawalnys Kandidatur Putin nicht ernsthaft von einer Wiederwahl abhalten können, dennoch verhinderte die Regierung unter Vorspieglung einer Strafverfolgung seine Kandidatur. Hätte man Nawalny zugelassen, so Gudkow, so hätte man ihm eine Plattform geboten, um seine regierungskritischen Positionen öffentlich darzustellen. Allgemeiner Tenor des Wahlkampfs und der regierungsnahen Medien war: Es gibt keine Alternative zu Putin.
Weiterhin ging Gudkov auf die Wahrnehmung Putins in der russischen Bevölkerung ein. Mit der Annexion der Krim habe Putin Russland das Image einer Großmacht zurückgegeben. Dafür würde er nun von der Bevölkerung gefeiert. Seitdem verschärfe sich der patriotische Diskurs der russischen Regierung kontinuierlich. Zwar habe es diesen bereits in den 2000er Jahren, spätestens seit der berühmten Rede von Putin bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2008, gegeben, aber mit der Annexion der Krim und den anhaltenden Sanktionen sei es in den letzten Jahren zu einer Intensivierung des patriotischen Diskurses gekommen. Putin schüre das Bild der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen, um somit seine Regierungspolitik zu legitimieren. Als Hauptgegner werde die USA stilisiert. Die EU wiederum würde nicht zwangsläufig als Gegner wahrgenommen, aber auch in dem russisch-europäischen Verhältnis habe sich die Einstellung der Russen spätestens seit der Krim-Krise zum Negativen gewandelt.
Gudkow führte die Entfremdung Russlands dem Westen gegenüber auf ein altes Muster aus Sowjet-Zeiten zurück. Auch heute seien viele Russen noch von dem Denken geprägt, dass der Westen mit Verachtung auf Russland schaue. Durch diese Opferhaltung könne die russische Regierung ihren patriotischen Kurs weiter stärken, so Gudkow. „Dieses Narrativ weckt archaische Gefühle in der Bevölkerung.“ Für die Zukunft Russlands nach den Wahlen prognostizierte Gudkow weitere Repressalien seitens der russischen Regierung, einen Anstieg der Staatsausgaben für die Streitkräfte sowie eine Fortsetzung des patriotischen Kurses von Präsident Putin.
Prof. Jörg Baberowski kommentierte im Anschluss die Analyse Lew Gudkows
Seine Analyse begann Baberowski mit der Aussage, dass es außer Putin aktuell keine Alternative in Russland gäbe. Russland, das anders als westliche Länder auf keine demokratische Vergangenheit zurückblicken könne, könne dankbar sein für die aktuelle innenpolitische Stabilität. Und auch der Westen habe Vorteile: Mit Putin habe man einen berechenbaren Präsidenten an der Spitze des größten Landes der Welt.
Ähnlich wie Gudkow berichtet Baberowski von einem Anstieg der Anti-Westlichen Stimmung in Russland in den letzten Jahre. Diese Tendenz habe sich seit Beginn der Ukrainekrise abgezeichnet. Baberowski warf – anders als Gudkow – die Frage auf, ob nicht auch der Westen mit an dieser Entwicklung Schuld trage, indem er Russland konsequent ins Abseits stelle.
Hinsichtlich der Wahlen in Russland argumentierte Baberowski: „Wahlen sind nicht gleich Demokratie.“ Für die russische Bevölkerung heute gäbe es weitaus wichtigeres als Wahlen: „Ruhe und innenpolitische Stabilität.“ Aus diesem Grund gäbe es in der Bevölkerung eine große Zustimmung für Putin. Baberowski warb dafür, dass der Westen sich in die russische Perspektive versetzen solle. Der Großteil der Russen sei froh über den Zerfall der Sowjetunion, aber im emotionalen Gedächtnis der Bevölkerung sei die enge Verbindung zu den ehemaligen sowjetischen Nachbarstaaten geblieben. Die Ukraine ohne Russland sei für viele Russen emotional schwer nachvollziehbar. Es ginge nicht darum, dieses Denken gut zu heißen, sondern es zu verstehen. „Nur weil ich sage ich verstehe jemanden, heißt das nicht, dass ich gut finde, was er tut. Aber ich kann seine Beweggründe nachvollziehen“, so Baberowski. Außerdem appellierte er an den Westen anzuerkennen, was sich alles in den letzten 20 Jahren in Russland verbessert habe. „Das Leben der Russen ist heute stabiler als in den 90er Jahren.“ Dies zeige, dass sich das Leben auch in nichtdemokratischen Ländern positiv entwickeln könne. Die Geschichte in Russland sei anders verlaufen als im Westen, man könne nicht den westlichen Maßstab an Russland anlegen, so Baberowski. Man müsse mit einer hermeneutischen Perspektive an den Gegenstand herantreten.
Im Anschluss waren die Besucher dazu eingeladen, sich mit Fragen an der Diskussion zu beteiligen.