
Herr Botschafter, Sie sind etwas mehr als 100 Tage im Amt. Ihr Amt fällt in eine spannungsreiche Zeit. Die Russland-Sanktionen sind seit fünf Jahren in Takt. Stimmen aus der Wirtschaft, aber auch aus der Politik meinen, dass die Sanktionen einer Wiederannäherung mit Russland im Wege stehen. Was ist Ihre Bilanz nach den ersten 100 Tagen – wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?
Also, wir hatten gerade einen äußerst substanzreichen Besuch der Bundeskanzlerin in Moskau. Dabei ging es in intensiven Gesprächen, an denen sich auch die Außenminister beteiligt haben, vor allem um die großen Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten, aktuell vor allem Libyen, um Syrien, um Iran, auch um die Ukraine, um Fragen der Energieversorgung, der Klimapolitik und auch um andere, teils ernste und schwierige bilaterale Fragen. Ich zähle dies auf, um zu zeigen, dass wir, Deutschland und Russland, in vielen ganz konkreten Bereichen, zumal wenn sie unsere Sicherheit betreffen, in der Verantwortung sind, uns um vernünftige Lösungen zu bemühen. Dieser Verantwortung müssen und wollen wir gerecht werden. Dabei zeigt sich auch ganz klar, wo unsere Interessen übereinstimmen und wo wir eine unterschiedliche Sicht der Dinge haben, oder uns auch ausdrücklich voneinander abgrenzen.
Da Sie die Sanktionen erwähnt haben: Hier darf man nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Um was es geht, ist der Konflikt in Gebieten der Ukraine. Wie wir und unsere Partner in der EU und darüber hinaus das russische Verhalten dort qualifizieren ist bekannt. Die Sanktionen sind kein Selbstzweck sondern an die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen gebunden, parallel zu Sanktionen die die Krim betreffen. Entscheidend ist also das Bemühen um eine Lösung auf Basis von Minsk. Daran arbeiten wir gemeinsam mit Frankreich, Russland und der Ukraine, zuletzt mit guten Fortschritten in der Sache und – ich halte das für besonders wichtig – auch wieder etwas mehr Vertrauen zwischen Moskau und Kiew. Da müssen wir jetzt dranbleiben, das Momentum nutzen. Deutschland wird weiterhin hilfreich sein und sich für eine Lösung engagieren. So können am Ende die Sanktionen in Bezug auf die Ostukraine fallen, vor allem aber können dann die leidgeprüften Menschen in der Region – der Konflikt hat laut Vereinten Nationen mittlerweile ca. 13.000 Tote und ein vieles mehr an Verwundeten gekostet – wieder ohne Angst, Verletzungen und Entbehrungen leben.
Neben diesen großen Themen, die die vergangenen Monate gewiss geprägt haben, gab es unzählige Begegnungen von Deutschen und Russen: Wissenschaftler analysieren gemeinsam die komplexen Zukunftsthemen, von Rohstofffragen über den Klimawandel bis hin zu einer gesunden Umwelt. Dabei wurden anspruchsvollste Kooperationen vorangebracht. Die gegenseitige Attraktivität der Kultur ist hoch, das Engagement der Menschen etwa bei Städtepartnerschaften ist bemerkenswert. Die Wirtschaft ist engagiert, trotz teils schwieriger Rahmenbedingungen.
Es passiert also viel, und so wird es weitergehen.
Nach der 2008 initiierten Modernisierungspartnerschaft mit Russland ist eine „Deutsch-Russische Effizienzpartnerschaft“ geplant, die die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit fördern soll. Und im zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich gibt es immer wieder deutsch-russische Themenjahre, wie 2017/2018 das „Deutsch-Russische Jahr der kommunalen und regionalen Partnerschaften“ oder das aktuell laufende „Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperationen und Wissenschaft“. 2020 ist ein Deutschlandjahr in Russland geplant. Welche Rolle spielt der zivilgesellschaftliche und kulturelle Austausch für eine Wiederannäherung beider Länder?
Bei der Effizienzpartnerschaft, die von den Wirtschaftsministern Altmaier und Oreschkin im vergangenen Jahr unterzeichnet wurde, geht es darum, das Potential unserer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen besser zu nutzen. Mit anderen Worten: durch direkten Dialog der Wirtschaft, gerade auch in den technologischen Bereichen, intensiveren Austausch von Erfahrungen und „best practices“, können wir aus unseren Potenzialen mehr herausholen, die Arbeitsproduktivität steigern.
Die Themenjahre bringen mit einer Vielzahl von gemeinsamen Projekten Deutsche und Russen in ganz spezifischen Bereichen – aktuell Wissenschaft und Hochschulen, ab Sommer zu den Aspekten Wirtschaft und Nachhaltigkeit – zusammen. Und mit dem Deutschlandjahr wollen wir unser Land in Russland präsentieren: Kunst und Musik ebenso wie die Exzellenz unserer Wirtschaft und Wissenschaft und die Art, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen, im Zeitalter von Digitalisierung und der Sorge um Nachhaltigkeit. Wir wollen eben die gelebte Wirklichkeit unseres Landes zeigen, mit seiner ganzen Vielfalt. Den Auftakt wird Ende August ein großes Fest in einem Moskauer Park setzen, dann geht es mit verschiedensten Veranstaltungen auch in die Regionen des Landes.
All dies zeigt, wie wichtig der Kontakt der Menschen ist, den wir fördern wollen, die Möglichkeiten uns gegenseitig zu erfahren, kennen zu lernen, Gemeinsamkeit zu finden. All dies wird doch immer mehr auch zum Fundament der Beziehungen zwischen unseren Ländern, auch der Qualität von politischen Beziehungen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Arbeit des Deutsch-Russischen Forums e.V. im Rahmen des anstehenden Deutschlandjahres?
Ich bin dankbar, dass wir als Botschaft schon seit Langem sehr gut mit dem Forum zusammenarbeiten. Daraus sind viele interessante gemeinsame Veranstaltungen und Projekte entstanden. Das Deutschlandjahr wird hier gewiss zusätzlichen Raum geben, beispielsweise wenn es um Veranstaltungen in den russischen Regionen geht. Das Forum ist ja exzellent in ganz Russland vernetzt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass beispielsweise die „Moskauer Gespräche“ des DRF auch außerhalb Moskaus stattfinden, dass sich das Deutsch-Russische-Medienforum entsprechend engagiert, oder dass wir das Programm „Deutsche Tage in den russischen Regionen“ intensiv nutzen. Ganz besonders liegen mir die Absolventen deutscher Stipendienprogramme am Herzen. Das DRF betreibt mit „Hallo Deutschland“ ein exzellentes Netzwerk für Deutschland-Alumni. Wir könnten im Deutschlandjahr an ein Alumni-Treffen anknüpfen, das wir als Botschaft zusammen mit dem DRF und dem DAAD erstmals im vergangenen Jahr in Moskau ausgerichtet haben. Die Erfahrungen all derer, die durch den Austausch unsere beiden Länder gut kennengelernt haben, sind ein unschätzbarer Wert.
Die Vertretung in der russischen Hauptstadt ist die größte des Auswärtigen Dienstes. Welche Erfahrungen und Berührungspunkte hatten Sie bisher mit Russland? Welche Erwartungen haben Sie persönlich und beruflich an die Zeit in Russland?
Ich habe bislang nie in Russland gelebt, mich aber in ganz unterschiedlichen Aufgaben viel mit Russland beschäftigt und mit russischen Kollegen zusammengearbeitet. Die Berührungspunkte waren vielfältig, meist ging es um Fragen der Sicherheitspolitik.
Die Tatsache, dass die Botschaft in Moskau die größte aller Auslandsvertretungen Deutschlands ist, spricht für sich: Russland hat für mein Land große Bedeutung, die deutsch-russischen Beziehungen können auch tief in die europäischen Fragen hinein Wirkung entfalten, oft sogar weit darüber hinaus. Ich hatte eingangs unseres Gesprächs ja Libyen oder Klimapolitik erwähnt.
Ich möchte dazu beitragen, dass wir das Potenzial unserer Beziehungen gut nutzen. So wie dies angesichts so mancher schwieriger Themen möglich ist, sollten wir im gemeinsamen Bemühen den einen oder anderen Stein aus dem Weg räumen und zu einem Mehr an gemeinsamem Verständnis kommen.
Das vor uns liegende Jahr wird uns in ganz besonderem Maß Gelegenheit geben uns zu erinnern, dass wir gemeinsam, auch mit anderen Partnern in Europa und darüber hinaus, Verantwortung für Frieden und Sicherheit tragen. Wenn wir im Mai den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begehen, auch im Gedenken an die ungeheuren Opfer, welche die Befreiung vom Nationalsozialismus gefordert hat. Und wenn wir im Oktober den 30. Jahrestag der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands feiern, die verbunden bleibt auch mit dem europäischen Integrationsprozess, der nach dem Zweiten Weltkrieg als einzigartiges Friedensprojekt gelungen ist.