Für den 8. und 9. Mai waren jeweils in Deutschland und Russland Feierlichkeiten anlässlich des 75. Jahres des Endes des Zweiten Weltkrieges geplant. Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen weltweit sind diese Gedenkveranstaltungen weder in Deutschland noch in Russland möglich. Dies bedauern wir als Deutsch-Russisches Forum e.V. außerordentlich.
Es ist den Mitgliedern und Freunden des Vereines ein großes Anliegen, dem Gedenken an das Kriegsende dennoch einen entsprechenden Platz im Vereinsprogramm einzuräumen. Aus diesem Grunde werden wir in den kommenden Wochen an dieser Stelle Gastbeiträge, Videobotschaften und Diskussionsanregungen aus beiden Ländern publizieren.
Wir laden Sie ein, auf diese Weise aller Opfer dieser Schreckensherrschaft zu gedenken und mitzuwirken an einem friedlichen Miteinander in der Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen.
Videobotschaft (15. April 2020)
Aleksej Menschtschikow, Direktor des Instituts für öffentliche und kommunale Verwaltung bei der Gebietsregierung Krasnojarskij Kraj: „Gemeinsame menschliche Werte (sowohl bei den Russen als auch bei den Deutschen) sind das Wichtigste“.
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Gastbeitrag (24. April 2020)
Wettlauf nach Berlin
In Szene gesetztes „Treffen an der Elbe“ am 25. April 1945
von Dr. Jörg Morré, Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst
Am 25. April gab es im sächsischen Torgau das wirkungsvoll in Szene gesetzte „Treffen an der Elbe“. Erstmals begegneten sich amerikanische und sowjetische Truppen auf deutschem Gebiet. Damit begannen die „Tage der Befreiung“. Was geschah in den letzten Kriegswochen und -tagen genau?
Adolf Hitler, der sich seit Januar 1945 in Berlin verschanzt hatte, nahm sich am 30. April das Leben und entzog sich damit jeglicher Verantwortung. Aus militärischer Sicht hatte es zuvor viele Momente gegeben, die eine Kapitulation erfordert hätten. Aber angesichts einzelner Erfolge der Wehrmacht hatte Hitler den Widerstandsgeist immer wieder angetrieben. Mit seinem so genannten Nerobefehl vom 19. März 1945 verlangte er von allen Deutschen, den Kampf ohne Rücksicht auf Verluste so lange wie möglich weiterzuführen. Der Anti-Hitler-Koalition war damit klar, dass das Kriegsende nur durch einen vollständigen militärischen Sieg herbeigeführt werden konnte. Berlin musste erobert werden.
Die Einnahme der deutschen Hauptstadt hatte Josef Stalin seinen Soldaten immer wieder vor Augen gehalten, um deren Kampfgeist nicht erlahmen zu lassen. „Nach Berlin“ war ein allgegenwärtiger Schlachtruf. Drei Jahre lang hatte sich die Sowjetunion im eigenen Land verteidigen müssen. Danach galt es “Europa vom Faschismus zu befreien”. Anfang 1945 besetzte die Rote Armee Ostpreußen. Ihre Spitzen unter dem Befehl von Marschall Georgi Schukow stürmten gleich weiter durch Polen hindurch bis an die Oder, an der sie Ende Januar 1945 zum Stehen kamen. Schukow wäre sofort zum Angriff auf Berlin übergegangen. Aber Stalin stoppte seinen ehrgeizigen Feldherrn. Für die am 16. April begonnene “Berliner Operation” bekamen die Fronttruppen zweieinhalb Monate Vorbereitung.
Die Eile der Roten Armee hatte auch eine machtpolitische Dimension für die Nachkriegszeit. Stalin vertraute nicht allein auf die Regelungen für die Nachkriegszeit, die die Anti-Hitler-Koalition auf ihren Kriegskonferenzen traf. Immer behielt er im Blick, wo bei Kriegsende seine Truppen eines Tages stehen würden. Ostmitteleuropa betrachtete er als sowjetisches Einflussgebiet, was ihm von seinen Kriegsverbündeten Großbritannien und den Vereinigten Staaten letztlich auch zugestanden wurde. Berlin aber war ein Symbol. Vor allem der britische Regierungschef Winston Churchill wollte mit Blick auf die Nachkriegszeit den sowjetischen Einfluss eindämmen. Er drängte den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die Reichshauptstadt nicht allein der Roten Armee zu überlassen. Dieser aber ließ sich von militärischen Überlegungen leiten. Das schloss auch die Vermeidung der zweifelsohne großen Verluste ein, die die Einnahme Berlins fordern würde. Britische und amerikanische Truppen blieben an der Elbe stehen. Am 25. April reichten sie in Torgau auf der zerstörten Brücke über die Elbe den sowjetischen Kampfgefährten die Hand.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits Berlin eingekreist. Eilig kämpften sich die sowjetischen Soldaten bis zum Stadtzentrum vor. Ganz bewusst hatte Stalin die Oberkommandierenden der beiden angreifenden Heeresgruppen in einen Wettlauf um den Sieg geschickt. Rücksichtslos trieben sie ihre Truppen voran. Berlin kapitulierte am 2. Mai vor den sowjetischen Truppen, die die Reichshauptstadt in knapp zweiwöchigen Straßenkämpfen eingenommen hatte. Am Ende war es eine Marschall Georgi Schukow unterstehende Einheit, die als Symbol des Sieges die rote Fahne auf dem Reichstag hisste. Schukow ging in die sowjetische Geschichtsschreibung als der Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“ ein.
Zum Autor
Dr. Jörg Morré, geboren 1964, studierte Geschichtswissenschaften, Russistik und Erziehungswissenschaften an der FU Berlin und der Universität Hamburg. Er promovierte in osteuropäischer Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Morrè war von 1996 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Gedenkstätten Sachsenhausen und Bautzen, seit 2009 ist er Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.