Deutsch-Russisches Forum setzt sich für Übernahme der liberalsten Schengen-Praxis ein. Komplette Internetabwicklung angestrebt.
BERLIN, 2. FEBRUAR 2012. Die sich in der innenpolitischen Szene in Russland andeutenden Veränderungen erfordern nach Ansicht des Deutsch-Russischen Forums positive Reaktionen von deutscher und europäischer Seite. In diesem Zusammenhang wären Fortschritte in der Visapolitik ein wichtiger Beitrag zum Demokratisierungsprozess in Russland.
Wie das Deutsch-Russische Forum seitens des Auswärtigen Amtes erfuhr, gelten bisher folgende Erleichterungen:
- Die Erlaubnis, Visaanträge entgegenzunehmen – und zwar binnen 48 Stunden – soll an ein zuverlässiges privates Unternehmen ausgelagert werden. Damit entfallen – insbesondere in den Sommerzeiten – bis zu sechswöchige Wartezeiten. Außerdem erhalten zahlreiche Städte Antragsstellen, die bisher keine hatten. Dies verkürzt die zum Teil erheblichen Anreisewege sehr wesentlich. Diese Erleichterung wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2012 in Russland wirksam. Dies bedeutet konkret: Es gibt derzeit fünf deutsche Generalkonsulate in Russland: Moskau, Jekaterinburg, Kaliningrad, Nowosibirsk und Sankt Petersburg. Durch die künftige Vertragsfirma wird nach Maßgabe der dafür zur Zeit laufenden Ausschreibung für die Standorte Moskau, Rostow am Don, Krasnodar, Kazan, Nizhnij Nowgorod, Saratow, Jekaterinburg und Nowosibirsk je eine zusätzliche Antragstelle eingerichtet werden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird über die Errichtung weiterer Antragsannahmezentren, zum Beispiel in St. Petersburg, Kaliningrad, Uljanowsk, Irkutsk und Wladiwostok entschieden. Entscheidende Neuerung: In den neuen Dienstleister-Annahmestellen soll nach Maßgabe des in Deutschland mit Gesetzeskraft verbindlichen »Visakodex« die persönliche Anwesenheitspflicht des (Erst-)Antragstellers entfallen, der mit dieser Dienstleistung auch Dritte beauftragen kann. Dies müsste jedoch entsprechend in die künftige Vertragsgestaltung mit dem neuen Konsulatsdienstleister aufgenommen werden.
- Durch die Einführung einer »Vielreisenden-Regelung« brauchen Reisende, die innerhalb von zwei Jahren mindestens zweimal ein Schengenvisum erhalten haben, bei der Antragstellung nicht mehr persönlich vorzusprechen.
- Die Zahl der Mehrjahresvisa für Vielreisende (zum Beispiel: Wissenschaft, Wirtschaft, Journalisten) wurde erhöht. Somit dürfen rund 50 Prozent aller Geschäftsreisenden über solche Visa verfügen. Künftig sollten verstärkt längerfristige Visa bis fünf Jahre ausgegeben werden.
- An über 60 Auslandsvertretungen wird die zusätzliche Möglichkeit geschaffen, Visagebühren im bargeldlosen Zahlungsverkehr zu begleichen. Dies soll weiter ausgebaut werden, ab Sommer auch in Russland, zeitgleich mit dem Service der Visaabwicklung durch Privatunternehmen.
In den bereits beschlossenen Visaerleichterungen sieht das Deutsch-Russische Forum auch einen Erfolg seiner intensiven Bemühungen, die auch gemeinsam mit dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und Organisationen der Zivilgesellschaft zielstrebig vorangetrieben werden.
Insbesondere hilfreich waren auf diesem Wege auch klare Stellungnahmen seitens der Politik. Anlässlich des 11. Petersburger Dialogs 2011 in Hannover bemerkte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Beisein des russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew: »Man muss klar sagen, dass Deutschland hier der Bremser war und nicht Europa.« Bundesaußenminister Westerwelle erklärte: »Deutschland lebt von seiner Offenheit und Vernetzung.« Und im vergangenen Oktober in Berlin äußerte er: »Es ist mir ein wichtiges Anliegen, für Besucher Europas und Deutschlands so viele Vereinfachungen und Erleichterungen wie möglich zu erreichen«.
Auf dieser Grundlage setzt sich das Deutsch-Russische Forum vorrangig dafür ein, dass sich Deutschland in der Vergabepraxis für Visa an russische Reisende zunächst umgehend an den liberaleren Vorgehensweisen der Schengenpartner orientiert und deren jeweils großzügigste Regelung in den Einzelfragen umgehend übernimmt. Auch könnte auf der Grundlage weltweiter positiver Erfahrungen (Australien) die Einführung eines komplett auf das Internet gestützten Verfahrens (gemäß Visakodex Anhang X, Teil A, Satz b) für Visaanträge den Aufwand aller Beteiligten erheblich senken und parallel mit den vom Dienstleister einzurichtenden Antragsstellen vorangetrieben werden.
Das Deutsch-Russische Forum begrüßt daher jeden Schritt, durch den die bisher notwendige persönliche Vorsprache der Antragsteller, auch der Erstantragsteller, sowie auch die Beauftragung von Dritten (zum Beispiel Reisebüros) möglichst entfällt: im Großflächenstaat Russland ist dies eine enorme Erleichterung gerade für weniger begüterte Menschen.
Konkret setzt sich das Deutsch-Russische Forum im Interesse des Verzichts auf persönliche Anwesenheit auch der Visaerstantragsteller unter Beibehaltung hoher Kontrollqualität dafür ein, dass:
- die geplante spätere Einführung obligatorischer biometrischer Fingerabdrücke in die Visavoraussetzungen durch die Europäische Union/Schengen so spät wie möglich erfolgt, so dass die dadurch notwendige persönliche Anwesenheit bei Erstanträgen nicht erneut weite Anreisen erfordert.
- die deutschen Botschaften in Russland und anderen Ländern die Möglichkeit des Verzichts auf persönliche Anwesenheit des Erstantragstellers im Zuge seines Direktantrags bei dem Konsulatsdienstleister ausdrücklich in die Vertragsgestaltung mit diesem Konsulatsdienstleister aufnimmt – zusätzlich zum bewährten Reisebüroverfahren, das in ganz Russland Geltung erhalten sollte.
Außerdem sollten insbesondere im wissenschaftlichen Austausch schnellstens sämtliche Spielräume des Schengenraumes ausgeschöpft werden.
Häufig behindert wurden sachgerechte Problemlösungen in der Vergangenheit durch Sicherheitsbedenken. Bundesaußenminister Westerwelle widersprach der Einschätzung von Innenpolitikern, dass eine restriktive Visumvergabe die Sicherheit Deutschlands erhöhe. »Das steht nicht im Widerspruch zu unseren Sicherheitsinteressen«, sagte der Bundesaußenminister mit Blick auf eine weitere Liberalisierung. Diese Ansicht unterstützt das Deutsch-Russische Forum ausdrücklich.
Es zeigt sich jedoch, dass sich die Bundesregierung zwar auf die Einrichtung einer Visumswarndatei verständigte – der entsprechende Gesetzesentwurf wurde von Bundestag und Bundesrat mittlerweile verabschiedet – die Umsetzung in die Praxis jedoch mindestens eineinhalb Jahre andauert.
Für den Fortgang der Arbeit ist es grundlegend, dass mit Russland ein Verfahren entwickelt und schriftlich niedergelegt wurde, wie und unter welchen Bedingungen die Visafreiheit erlangt werden kann. Für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den anstehenden Prozessen ist es jedoch unerlässlich, dass dieser Text zumindest teilweise einzusehen ist.
Nach Ansicht des Deutsch-Russischen Forums kann Europa auf diesem Wege demokratische Entwicklungen in Russland ermutigen, stärken und konstruktiv begleiten.
Diese Pressemitteilung als PDF-Datei herunterladen:
PM 01/2012: Visapolitik mit Russland