In Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Medienforum widmete sich das letzte Moskauer Gespräch in diesem Jahr dem Thema Medienethik. Auf Einladung des Deutsch-Russischen Forum e.V. und der Moskauer Deutschen Zeitung diskutierten vier Spezialisten an diesem Abend die Frage: „Wenn Fakten nicht mehr zählen: Gibt es eine Medienethik der Sozialen Netzwerke?“. Moderiert wurde die Diskussion von Bojan Krstulovic, dem Chefredakteur der Moskauer Deutschen Zeitung.
Der aus Hamburg angereiste Professor für Medienwissenschaft Johannes Ludwig gab gleich zu Beginn zu bedenken, dass man von einer Ethik auf Facebook und Co. gar nicht erst zu sprechen brauche, da es keinerlei Regulierung gäbe. Dort verbreitete Phänomene wie „hate speech“ und „Trolle“ und Schlagworte wie „Lügenpresse“ habe es zwar schon immer gegeben, so Prof. Ludwig. Bereits im Wörterbuch der Gebrüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert tauche dieser Begriff beispielsweise in der Form des „Lügenblatts“ auf. Somit seien dies keine Phänomene, die die sozialen Medien erst erfunden hätten. Klar sei aber, dass sie ihnen eine nie dagewesene Reichweite und Unmittelbarkeit geben würden.
Yury Kazakov vom „Öffentlichen Kollegium der Beschwerden gegen die Presse“ in Russland pochte darauf zwei Bereiche nicht zu verwechseln. Journalisten bewegten sich mit der gleichen Berufsethik in den sozialen Netzwerken wie in Print- oder Onlinemedien. Schwieriger sei dies in Bezug auf Blogger. Denn diese hätten oft keine journalistische Ausbildung genossen, und haben kein professionelles Verständnis von Medienethik. Und eben diese professionelle journalistische Ethik müsse man auf Blogs, Facebook und Co. übertragen, so Johannes Ludwig. Ob das aus einer Selbstregulierung entstehen könne, oder über gesetzliche Regulierungen passieren solle, stünde offen zur Diskussion. Letzteres bezweifelte Yury Kazakov. Anhand einer Modell-Guillotine, die er an diesem Abend mitgebracht hatte, erklärte der Referent mit einem Augenzwinkern, dass für diejenigen, die diese Gesetze machten, dies oftmals das eigene Fallbeil bedeutete.
Dass man Soziale Netzwerke wie Facebook regulieren sollte, dem stimmte auch Thorsten Gutmann zu. Der Chefredakteur des Online-Portals „Ostexperte“ verwies auf die Algorithmen von Facebook, die nicht nach ethischem Verständnis funktionierten. „Facebook ist eine große Filter-Blase. Unser News-Feed zeigt uns das, was uns gefällt“. Es könne sich also jeder seine eigenen ethischen Standards für seinen virtuellen Raum schaffen. Und in diesem Raum zählten Fakten immer weniger. An dieser Stelle seien die Konsumenten selbst gefragt, fand Prof. Dr. Svetlana Shomova von der Higher School of Economics. „Der Journalist kann schon lange nicht mehr jede Nachricht auf Richtigkeit prüfen. Die Leser der Nachrichten müssen lernen das selbst zu prüfen,“ so Prof. Shomova. Deshalb sei Medienbildung so wichtig, stimmte auch Thorsten Gutmann ihr zu.
Unwahre Nachrichten von Richtigen zu unterscheiden, das erleichtern Projekte wie „stopfake“, berichtete Yury Kazakov. Doch der ehemalige Journalist ist überzeugt, so etwas könne in Russland nicht funktionieren, da es an passenden Institutionen und Finanzierungswegen mangele. Eine Finanzierung auf Crowdfunding-Basis sei eher unwahrscheinlich. Und ausländisches Geld, dass solch eine NGO finanzieren könnte, würde die Glaubwürdigkeit des Projekts in Russland untergraben. „Leider“, so die ernüchternde Analyse Kazakovs.