Russland hat einen neuen Regierungschef: den 53-jährigen Finanzspezialisten Michail Mischustin. In einem überraschenden Coup gleich nach dem russischen Neujahrsfest, hat Vladimir Putin den langjährigen Premier Dmitri Medwedew mit seiner kritischen Rede zur Lage der Nation zum Rücktritt genötigt. Medwedew muss die Verantwortung für die sich verschlechternde Wirtschafts- und Soziallage im Land übernehmen.
Der zweite Paukenschlag von Putin verändert das politische System Russlands. Die postkommunistische Verfassung von 1993 wird zum zweiten Mal verändert. Mit dem politischen Systemumbau sichert sich Putin seinen politischen Einfluss auch nach der Präsidentschaft. Zwei Institutionen, die bislang in der russischen Politik eine minderwertige Rolle gespielt haben – der Nationale Sicherheitsrat und der Staatsrat – werden konstitutionell aufgewertet. Möglicherweise werden sie zu einem einzelnen starken Exekutivorgan vereint. Putin kann nach Ende seiner Präsidentschaft Vorsitzender dieser „Parallelregierung“ werden und dann weiterhin – neben dem künftigen Präsidenten – die außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten des Landes bestimmen. Einen ähnlichen Weg haben zuvor chinesische Staats-und Parteichefs seit Deng Xiaoping gewählt, indem sie sich auf den Posten des Chefs der „Militärkommission“ zurückzogen und von dort aus die Politik prägten. Auch der kasachische Präsident Nursultan Nazarbajew wählte jüngst diese Variante.
Medwedews künftige Aufgabe wird sein, den Apparat des Nationalen Sicherheitsrates entsprechend aufzubauen, dass Putin nach 2024 alle wichtigen Schalthebel in der Hand behält. Seine Präsidentschaftsambitionen sind jedoch mit einem Schlage zunichte gemacht worden. Im Sicherheitsrat wird sich Medwedew allerdings mit den dort regierenden Siloviki, den Vertretern von Geheimdiensten und Armee, herumschlagen müssen. Die Siloviki haben das Gremium bislang als ihre Hausmacht betrachtet. Jedenfalls wird Medwedew Putins Aufseher über die Sicherheitspolitik im Lande werden – seine Karriere ist also noch lange nicht zu Ende.
Wie die künftige Regierung Russlands aussehen wird, ist momentan unvorhersehbar. Der neue Premierminister Mischustin hat größere Veränderungen angekündigt. Die neuen Minister müssen vor allem die sozialen Missstände im Land professionell angehen. Ob Mischustin seine Position als Premier so stärken kann, dass er am Ende Putins Nachfolger wird, ist heute unvorhersehbar. Putin als Präsident will künftig nicht die alleinige Verantwortung für die Regierung tragen. Das nächste Kabinett soll in Absprache mit dem Parlament aufgestellt werden, in dem die Putin-Partei Einheitliches Russland die Mehrheit besitzt. Im nächsten Jahr finden in Russland Duma-Wahlen statt, die die Zusammensetzung der Duma noch verändern und den Einfluss der Regierungspartei schwinden lassen könnten.
Es ist davon auszugehen, dass der gegenwärtige liberal-technokratische Flügel der Regierungsmannschaft geschwächt wird. Ein Linksdrall in Zeiten vermehrter Budgetausgaben ist zu erwarten. Aufgabe der Regierung wird es sein, Armut in Russland zu bekämpfen. Putin hat in seiner Ansprache an das Parlament eine exorbitante Erhöhung der Sozialausgaben angekündigt; er will nicht mit niedrigen Popularitätswerten den Kreml verlassen. Das ist eine wesentliche politische Änderung des bisherigen Regierungskurses, der auf Finanzstabilität und Inflationsbekämpfung ausgerichtet war. Putin will, dass das Parlament und die Partei Einheitliches Russland selbst Verantwortung für die schlechte Konjunktur im Land übernehmen. Er selbst will sich großen außen – und sicherheitspolitischen Aufgaben zuwenden.
Die Systemänderungen lassen darauf schließen, dass Putin nach seinem Weggang nicht die gesamte jetzige Machtfülle einem einzelnen Politiker überlassen möchte. Sein Nachfolger auf dem Posten des Staatschefs wäre viel stärker in ein System von checks & balances eingebunden. Der Putin-Nachfolger darf dem gegenwärtigen Präsidenten später nicht gefährlich werden.
Wer genau hingeschaut hat, sieht, dass aber auch die sogenannten Gewaltministerien künftig einer stärkeren Parlamentskontrolle unterzogen werden sollen. Die Korruption und Vetternwirtschaft in den Regionen, die sich höchst negativ auf das föderale Rechtssystem auswirken, sollen ebenfalls einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle unterzogen werden. Auch möchte Putin das Verfassungsgericht, das ein stiefmütterliches Dasein fristet, stärken, um die allgemeine Gerichtsbarkeit zu ertüchtigen. Dies wird kein leichtes Unterfangen. Die Oligarchen werden sich zu wehren versuchen. Machtkämpfe hinter den Kulissen wird es geben.
Das Wichtigste hat Putin erreicht. Durch den angekündigten Umbau des politischen Systems und den veränderten Regierungskurs Richtung mehr Sozialreformen, hat er – wie so oft in den letzten 20 Jahren seiner Herrschaft – seine Machtfülle ausgebaut. Er steht über den Veränderungen, er ist der große Regisseur der Dramaturgie über allen politischen und institutionellen Akteuren. Genau so will Putin in die Geschichte eingehen. Die eigentliche Macht wird er aber nur langfristig abgeben. Vermutlich bleibt er für die gesamten 20er Jahre der Hauptakteur im Staat.
Von Alexander Rahr, Politikberater und Mitglied des Deutsch-Russischen Forums e.V.
Dossier der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) über Michail Mischustin, designierter Premierminister der Russischen Föderation