Der Dr. Friedrich Joseph Haass-Preis für deutsch-russische Verständigung wird seit 1994 verliehen und ist benannt nach dem deutschen Arzt aus Bad Münstereifel, der sich im 19. Jahrhundert selbstlos für Häftlinge und Verbannte in Russland einsetzte. Mit der mit 5.000 Euro dotierten Auszeichnung ehrt das Deutsch-Russische Forum e.V. alljährlich Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise um die deutsch-russischen Beziehungen verdient gemacht haben. Unter den Ausgezeichneten befinden sich u.a. Prof. Dr. Egon Bahr, Bundesminister a.D. und Michail Gorbatschow, Staatspräsident a.D.
In diesem Jahr ehrt das Deutsch-Russische Forum e.V. neben Graciela Bruch, Vorstandsvorsitzende der Globus-Stiftung, Stefan Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter und CEO, Ekosem-Agrar AG, mit dem Preis.
Stefan Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter und CEO, Ekosem-Agrar AG
Stefan Dürr studierte Geoökologie an der Universität Bayreuth und ging im Alter von 25 Jahren als erster westeuropäischer Trainee nach Russland. 1994 rief er, begleitet durch das Bundeslandwirtschaftsministerium, den Deutsch-Russischen Agrarpolitischen Dialog ins Leben. Zudem fungierte er als Berater für Agrarausschüsse des Föderationsrates und der Staatsduma der Russischen Föderation. 1998 stieg er in den Handel mit Landmaschinen ein und erwarb im Jahr 2002 seinen ersten landwirtschaftlichen Betrieb in Russland. In den vergangenen 17 Jahren baute er das von ihm gegründete Unternehmen EkoNiva zum größten Milchproduzenten des Landes und einem der zehn größten weltweit aus. Heute ist die Gesellschaft in acht Regionen Russlands vertreten und verfügt über eine Gesamtfläche von mehr als 500.000 Hektar. Für seine Verdienste bei der Gestaltung und Festigung der deutsch-russischen Beziehungen im Bereich der Landwirtschaft wurde Stefan Dürr 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Herr Dürr, in diesem Jahr erhalten Sie für Ihr Engagement für die Deutsch-russischen Beziehungen den Dr. Friedrich Joseph Haass-Preis. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Es ist für mich eine Ehre, diese Auszeichnung zu erhalten und zugleich eine große Motivation, mein Engagement weiterzuführen. Gerade in herausfordernden Zeiten sollte man dem Beispiel Friedrich Haass’ folgen und immer wieder Brücken bauen – sowohl zwischen sozialen Schichten und als auch zwischen Völkern und Kulturen. In der Beziehung zwischen Deutschland und Russland sind solche Brücken gerade heute wichtig, um einen gegenseitigen Austausch zu ermöglichen, Verständnis füreinander zu entwickeln und ein Miteinander zwischen den Menschen zu erreichen.
Sie sind seit über dreißig Jahren wirtschaftlich in Russland aktiv. Welche Bedeutung haben die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern für den kulturellen und auch den politischen Dialog?
Gemeinsame Wirtschaftsprojekte und funktionierender Handel fördern Innovationen, Technologietransfer und Investitionen in beiden Ländern und dienen immer auch als Brücke und Impulsgeber für gute Beziehungen der Menschen untereinander und für kulturelle Begegnungen. Wir Unternehmer sollten es als unsere Pflicht betrachten, aktiv an der Politik mitzuwirken – und damit meine ich nicht nur die Bereiche und Themen, die unmittelbar unsere Unternehmen betreffen, sondern wir müssen auch darüber hinausdenken. Denn wir tragen sowohl Verantwortung für unsere Unternehmen als auch für unsere Mitarbeiter und deren Familien. Die Entwicklungen der letzten Jahre haben glücklicherweise nicht zur Einstellung aller gemeinsamer Projekte geführt. Das Projekt „Deutsch-Russischer Agrarpolitischer Dialog“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das ich als Projektkoordinator über lange Jahre begleitet habe, feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum und fungiert seither als Bindeglied in der deutsch-russischen Zusammenarbeit im Agrarbereich.
Was kann Deutschland von Russland in Bezug auf die Landwirtschaft lernen und andersrum?
Obwohl sich beide Länder in der Vergangenheit sehr unterschiedlich entwickelt haben, kann jedes Land als Inspiration für das andere dienen. In Deutschland haben es die Landwirte lange Zeit versäumt bei der Öffentlichkeit für ihre Sache zu werben. Daher steht heutzutage insbesondere die städtische Bevölkerung der Landwirtschaft sehr kritisch gegenüber. Wir als großes russisches Agrarunternehmen verfolgen eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und bieten Exkursionen auf unsere Betriebe an, damit auch die Kinder aus der Stadt verstehen, wo die Milch herkommt.
Bei anderen Themen – unter anderem bei der Digitalisierung – auch wenn die Voraussetzungen doch sehr unterschiedlich sind, müssen beide Länder die Herausforderungen in der Entwicklung der ländlichen Räume bewältigen und können hier kooperieren und voneinander lernen.
Sie machten 1989 als erster Westdeutscher Trainee in Russland ein Praktikum. Wie haben Sie den Wandel des Landes über die Jahrzehnte erlebt?
Landwirtschaft wurde in den neunziger Jahren als rein soziale Aufgabe wahrgenommen. Selbst das Landwirtschaftsministerium bezeichnete die Branche damals als „Schwarzes Loch“. Das Bild hat sich mittlerweile komplett gewandelt, Landwirtschaft hat sich zu einem modernen, starken Wirtschaftszweig entwickelt. Zur gesellschaftlichen Aufgabe der Entwicklung ländlicher Räume und der Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen tragen die Agrarunternehmen durch ihre Wirtschaftskraft einen wesentlichen Teil bei. Die Schaffung moderner Arbeitsplätze mit gleichwertigen Gehältern und guten Arbeitsbedingungen verbessern die Lebensbedingungen gerade auch junger Menschen im ländlichen Raum Russlands, die Attraktivität ländlicher Regionen steigt.
Wie fördert Ekoniva den Nachwuchs in Russland?
Junge, talentierte MitarbeiterInnen sind essentiell für ein Land und auch für dessen Unternehmen. Wir verfolgen daher eine Reihe von Initiativen, um geeigneten Nachwuchs zu finden und zu fördern. Landesweit kooperieren wir mit russischen Hochschulen und bieten über Stipendien- & Praktikantenprogramme jungen Menschen die Möglichkeit, erste Erfahrungen in unseren landwirtschaftlichen Betrieben zu sammeln. Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt 1.000 PraktikantInnen auf unseren Betrieben. Mit der „EkoNiva Akademie“ haben wir ein internes Weiterbildungsprogramm, verfügen über ein eigenes Ausbildungszentrum für angehende Fach- und Führungskräfte in der Region Woronesch und ermöglichen unseren MitarbeiterInnen Seminare & Fachexkursionen im Ausland, um proaktiv den interkulturellen Austausch zu fördern.
Was verbinden Sie persönlich mit Russland?
Deutschland fühle ich mich nach wie vor verbunden, ich bin oft dort. Mein Lebensmittelpunkt und meine neue Heimat ist Russland. Ich fühle mich hier sehr wohl und versuche in meinem Leben die Werte beider Länder zu verbinden.