Trotz der Herausforderungen in Zeiten der Corona-Pandemie gedachten am 8. und 9. Mai zahlreiche Menschen in ganz Deutschland allen Opfern der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus anlässlich des 75. Jahres des Endes des Zweiten Weltkrieges. Unter anderem trafen unter Einhaltung der gegebenen Schutzmaßnahmen der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller, S.E. Botschafter Sergej Netschajew und Matthias Platzeck, Ministerpräsident a.D., Vorsitzender des Vorstandes, Deutsch-Russisches Forum e.V. vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Berliner Tiergarten zusammen, um im Stillen den Opfern zu gedenken.
Fotos: Sascha Radke
Das Deutsch-Russische Forum e.V. plante ursprünglich eine gemeinsame Konferenz mit dem Bundesverband russischsprachiger Institutionen. Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen weltweit waren diese Gedenkveranstaltungen weder in Deutschland noch in Russland möglich. Dies bedauern wir als Deutsch-Russisches Forum e.V. außerordentlich.
Es ist den Mitgliedern und Freunden des Vereines ein großes Anliegen, dem Gedenken an das Kriegsende dennoch einen entsprechenden Platz im Vereinsprogramm einzuräumen. Aus diesem haben wir an dieser Stelle Gastbeiträge, Videobotschaften und Diskussionsanregungen aus beiden Ländern gesammelt und in den letzten Wochen publiziert.
Wir laden Sie ein, auf diese Weise auch im Nachhinein aller Opfer dieser Schreckensherrschaft zu gedenken und so mitzuwirken an einem friedlichen Miteinander in der Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen.
Videobotschaft (9. Mai 2020)
Larisa Yurchenko, Vorsitzende, Bundesverband Russischsprachiger Institutionen e.V.: „Eine Verstärkung der Konfrontation kann zu neuen Fehlern führen.“
Videobotschaft (4. Mai 2020)
Vitaly Krusch, Vorsitzender, Deutsch-Russisches Jugendparlament Bonn-Kaliningrad: „Wir müssen uns weiterhin bemühen, diesen hart erkämpften Frieden in Europa aufrecht zu erhalten.“
Videobotschaft (8. Mai 2020)
Marco Henrichs ist Extremsportler und seit Kurzem Mitglied im Deutsch-Russischen Forum e.V.. Ihm war es eine Herzensangelegenheit, in einer Videobotschaft allen Opfern der Schreckensherrschaft anlässlich des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges zu gedenken.
(Gastbeitrag, 7. Mai 2020)
Ziemlich klare Vorstellung von der Art und dem Ausmaß der Verbrechen der NS-Zeit
Von Stefanie Intveen, Mitglied im Deutsch-Russischen Forum e.V.
Vor dreißig Jahren, im Mai 1990, 45 Jahre nach Kriegsende, befand ich mich als Kölner Studentin zu einem Auslandssemester in Wolgograd, der neuen Partnerstadt Kölns. „Glasnost“ und „Perestroika“ hatten politische und kulturelle Freiheiten gebracht, aber die schwere Wirtschaftskrise nicht beseitigt. Auch wir Auslandsstudenten erhielten Lebensmittelmarken für den Bezug von Mehl, Fett, Zucker, Fleisch. Die Regale in den staatlichen Lebensmittelgeschäften waren oft leer. Daran erinnere ich mich, wenn ich heute in den Supermarkt in der Nähe meiner Kölner Wohnung gehe und mich wundere, dass die Versorgungslage aufgrund der CoViD-19-Krise immer noch schlecht ist: seit Wochen sind Kaffee, Nudeln, Reis, Mehl, Zucker, Toilettenpapier und Seife rationiert und oft genug nicht vorrätig.
In Wolgograd arrangierten wir uns schnell mit der ungewohnten Situation. Wir waren als Besitzer von Devisen geradezu reich und konnten mühelos auf dem Kolchosmarkt oder im „Berjoska“ einkaufen. Die einheimischen Kommilitonen hatten wenig Geld und wurden von ihren in den umliegenden Dörfern lebenden Familien unterstützt. Sie halfen uns Ausländern, wo sie konnten, interessierten sich für unsere Erzählungen über Westdeutschland und führten uns in die Wunderwelt ihrer Feierkultur ein. Trotz der tiefen Krise, die nur wenig später in den Zerfall der Sowjetunion mündete, hatten wir eine herrliche Zeit. Beim Zusammensein mit unseren neuen Wolgograder Freunden und Bekannten half uns sehr, dass die bundesdeutsche Gesellschaft nach harten Auseinandersetzungen eine ziemlich klare Vorstellung von der Art und dem Ausmaß der Verbrechen der NS-Zeit gewonnen hatte. Wir waren gut vorbereitet auf den Aufenthalt in der Stadt, die die Wehrmacht 1942/1943 bei dem vergeblichen Versuch, zu den kaukasischen Ölgebieten durchzustoßen, verwüstet hatte. Uns Kriegsenkeln war die deutsche Kriegsschuld klar; wir wussten, dass daraus eine Verantwortung für die Zukunft erwuchs – nicht als Buße für „ererbte Sünden“, sondern als einzig vernünftige Schlussfolgerung aus den historischen Massenverbrechen.
Am 8. Mai 1985 hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor dem Deutschen Bundestag erklärt: „Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden. Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit – für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden.“ (Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/rede-vonweizsaecker-wortlaut-101.html) Die Rede bildete einen gesellschaftlichen Grundklang der 1980er Jahre ab; dieses Fundament trägt viele von uns bis heute. Hochmut ist fehl am Platz. Die CoViD-19-Pandemie und die politischen Reaktionen darauf zeigen beispielhaft, wie ähnlich wir Menschen uns sind, wie verletzlich und unvollkommen. Selbst im reichen Deutschland ist die Grundversorgung nicht selbstverständlich; auch hier werden Grundrechte eingeschränkt. Zusammenarbeit im Sinne eines globalen Gemeinwohls ist nun notwendig, um die sich absehbar verschärfenden Gegensätze und Notlagen zu mildern. Auch andere Risiken machen vor Ländergrenzen nicht Halt: Klimawandel, Artensterben und Atomkrieg bedrohen das menschliche Leben insgesamt. Wir selbst können aber das Ausmaß der Bedrohungen verringern. Die Pandemie zeigt, zu welch drastischen Verhaltensänderungen menschliche Gesellschaften fähig sind, wenn sie sie für notwendig erachten. Heute, 75 Jahre nach Kriegsende, können wir den Blick auf das Verbindende richten und unsere Kraft für eine gemeinsame friedliche Zukunft einsetzen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen guten 8. und 9. Mai!
Über die Autorin
Stefanie Intveen ist Sprecherin der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Gruppe Köln und Mitglied des Deutsch-Russischen Forums.
Sie arbeitet in einer Entwicklungsbank in Köln.
Videobotschaft (6. Mai 2020)
Thomas Hoffmann, Geschäftsführer, Stiftung Deutsch-Russisches Jugendaustausch: „Die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch wird weiterhin ihren Beitrag zur Stärkung der Beziehung beider Länder leisten“
Videobotschaft (7. Mai 2020)
Matthias Platzeck, Ministerpräsident a.D., Vorsitzender des Vorstandes, Deutsch-Russisches Forum e.V.: „Wie keiner anderen Nation ist es uns aufgegeben, Wege der Verständigung und des Ausgleichs zu suchen, um den Frieden zu wahren – auch und ganz besonders wieder in unserer Zeit.“
Videobotschaft (6. Mai 2020)
Dr. Géza Andreas von Geyr, Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation: „Versöhnung bleibt für uns Auftrag.“
(Videobotschaft, 29. April 2020)
Andrej Hunko, Mitglied des Deutschen Bundestages, Fraktion DIE LINKE: „Wir müssen aus der Geschichte lernen und zurückkehren zu einer Politik der Kooperation und Entspannung.“
(Gastbeitrag, Mai 2020)
S. J. Netschajew, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, an die in Deutschland lebenden russischen Landsleute und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges
Meine sehr geehrten Landsleute, hochverehrte Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges,
wir stehen am Vorabend unseres großen Jubiläums, des 75. Jahrestages des Sieges. Dies ist ein heiliger Tag für jede Familie und für eine jede der zahlreichen Ethnien in unserem Land. Diesen Tag begehen auch die russischen Landsleute, die im Ausland leben, so auch die Angehörigen der großen russischsprachigen Diaspora in Deutschland.
Unser Präsident Wladimir Putin hat das Jahr 2020 zum „Jahr des Gedenkens und des Ruhmes“ erklärt. Unser Land hat im Krieg unermessliche Verluste, insgesamt 27 Millionen Menschenleben, erlitten. Wir verneigen unser Haupt vor den gefallenen Helden und gedenken ihrer. Viele unserer Mitbürger haben den Tag des Sieges nicht mehr erlebt. Sie fanden ihre letzte Ruhestätte fernab der Heimat – hier, in der deutschen Erde. Die Erinnerung an sie wird dank dem Engagement unserer Landsleute gewahrt, die in Deutschland leben. Wir wertschätzen auch die Fürsorge der deutschen Stellen, der gesellschaftlichen Organisationen, der einfachen Bürger für den Erhalt und die Pflege der sowjetischen militärischen Gedenkstätten und Kriegsgräber. An vielen von ihnen werden – natürlich unter Beachtung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen – Kränze und Blumen niedergelegt.
Die Gedenkaktionen der Zivilgesellschaft können in diesem Jahr aufgrund der Corona-Epidemie nicht in dem gewohnten großen Umfang durchgeführt werden.
Auch in Russland mussten zahlreiche Veranstaltungen aufgeschoben werden. Sie wissen, was Präsident Wladimir Putin in diesem Zusammenhang erklärt hat. Es wird eine Parade der Luftstreitkräfte und am Abend ein Salut geben. Die anderen Veranstaltungen finden auch statt, nur nicht jetzt, sondern später.
Aber der 75. Jahrestag des Großen Sieges wird nicht unbeachtet an uns vorübergehen: Unter den aktuellen Bedingungen findet der Feiertag in der digitalen Wirklichkeit statt. Um das Thema des Großen Sieges in die breite Öffentlichkeit zu tragen, werden soziale Netze und Online-Übertragungen aktiv genutzt. Das gilt auch für die Gedenkaktion „Unsterbliches Regiment“, die in diesem Jahr im Internet stattfindet. Unsere Landsleute wirken aktiv an der Galerie der Veteranen auf der Web-Seite „Das russische Feld“ [«Русское поле»] mit, indem sie Materialien aus ihren Familienarchiven und Fotos von Angehörigen posten, die unsere Heimat verteidigt und die Völker Europas vom Faschismus befreit haben.
Ich gratuliere allen in Deutschland lebenden russischen Veteranen, allen unseren Landsleuten, die an den Fronten des Großen Vaterländischen Krieges gekämpft haben, allen Überlebenden der Leningrader Blockade, allen Frauen und Männern an der Heimatfront, allen überlebenden Insassen der Nazi-Konzentrationslager, die selbstlos und starken Geistes gegen den gemeinsamen Feind gekämpft haben, zum 75. Jahrestag des Großen Sieges. Ich wünsche Ihnen Frieden, Wohlergehen und, natürlich, beste Gesundheit.
Videobotschaft (26. April 2020)
Herman Krause, Leiter der Vertretung, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Russischen Föderation: „Es muss eine Politik geben, die auf Frieden ausgerichtet ist.“
Videobotschaft (25. April 2020)
Vladislav Belov, Stellvertretender Direktor und Leiter des Instituts für Deutschland-studien, Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften: „Ich hoffe, dass wir uns noch in diesem Jahr wiedersehen werden!“
Videobotschaft (24. April 2020)
Vera Tatarnikova, Vorstandsmitglied der BVRI e.V, Mitglied des Internationalen Journalistenverbandes: „Der Krieg hat das Leben einer ganzen Generation junger Menschen gefordert.“
Videobotschaft (27. April 2020)
Bernhard Kaster, Bürgermeister a.D., Mitglied des Deutschen Bundestages (2002-2017), Mitglied des Vorstandes, Deutsch-Russisches Forum e.V.: „[…] für eine stabile und ehrliche Völkerfreundschaft zwischen Deutschland und Russland. Das bleibt unsere Kernaufgabe im Deutsch-Russischen Forum.“
(Initiative für deutsch-russische Städtepartnerschaften, 30. April 2020)
Historisches Gedenken für eine gemeinsame Zukunft
Das Deutsch-Russische-Forum e.V. hat sich mit einem Initiativschreiben an die deutschen Vertreter von Städten, Gemeinden und Landkreisen sowie Aktiven in den Initiativen und Vereinen gewandt. Das Schreiben soll angesichts der Herausforderungen durch die weltweit grassierende Corona-Epidemie ein Zeichen der Solidarität an die russischen Partnerkommunen und ihre Bürgerinnen und Bürger senden. Bereits über 100 Unterzeichnende haben sich der Initiative angeschlossen.
Im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren wird daran erinnert, dass von städtepartnerschaftlicher Arbeit eine aktive Botschaft des Friedens ausgeht. Die mehr als 100 offiziellen kommunalen Partnerschaften zwischen Russland und Deutschland stünden in dieser Tradition für Versöhnung und Freundschaft in Europa. Das Schreiben ruft dazu auf, im Angesicht des gemeinsamen Kampfes gegen die Pandemie den Weg aus der Krise Seite an Seite zu gehen, etwa in der medizinischen Forschung, in der humanitären Hilfe oder in Wirtschaft und Politik.
In den vergangenen Jahren hat sich die kommunale Zusammenarbeit zunehmend als eine tragende Säule der deutsch-russischen Beziehungen gezeigt. Ungeachtet der bestehenden politischen Spannungen betonen die Außenministerien Deutschlands und Russlands die verbindende Wirkung des Bürgerengagements für die Gesellschaften beider Länder. Das Deutsch-Russische Forum e.V. fördert mit seinen Konferenzen, Seminaren und durch das Internetportal „russlandpartner.de“ die regionalen Netzwerke und macht auf die Arbeit aufmerksam, die in den Partnerschaften auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Kooperation geleistet wird.
Das Solidaritätsschreiben in vollem Wortlaut finden Sie hier.
Videobotschaft (27. April 2020)
Jelena Hoffmann, Vorsitzende des Vorstandes, Stiftung West-Östliche Begegnungen: „Ich gratuliere unseren russischen Freunden von ganzem Herzen.“
Videobotschaft (21. April 2020)
Dirk Wiese MdB, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, Auswärtiges Amt: Verantwortung der Generationen das heißt für mich zuerst „kein Vergessen.“
Videobotschaft (17. April 2020)
Pawel Sawalny, Abgeordneter der Staatsduma der Russischen Föderation, Vorsitzender des Energieausschusses, Vorsitzender der Russisch-Deutschen Parlamentariergruppe der Staatsduma der Russischen Föderation: „Besonders wichtig ist die Erkenntnis über die gemeinsame Verantwortung.“
Videobotschaft (15. April 2020)
Aleksej Menschtschikow, Direktor des Instituts für öffentliche und kommunale Verwaltung bei der Gebietsregierung Krasnojarskij Kraj: „Gemeinsame menschliche Werte (sowohl bei den Russen als auch bei den Deutschen) sind das Wichtigste“.
Gastbeitrag (24. April 2020)
Wettlauf nach Berlin
In Szene gesetztes „Treffen an der Elbe“ am 25. April 1945
von Dr. Jörg Morré, Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst
Am 25. April gab es im sächsischen Torgau das wirkungsvoll in Szene gesetzte „Treffen an der Elbe“. Erstmals begegneten sich amerikanische und sowjetische Truppen auf deutschem Gebiet. Damit begannen die „Tage der Befreiung“. Was geschah in den letzten Kriegswochen und -tagen genau?
Adolf Hitler, der sich seit Januar 1945 in Berlin verschanzt hatte, nahm sich am 30. April das Leben und entzog sich damit jeglicher Verantwortung. Aus militärischer Sicht hatte es zuvor viele Momente gegeben, die eine Kapitulation erfordert hätten. Aber angesichts einzelner Erfolge der Wehrmacht hatte Hitler den Widerstandsgeist immer wieder angetrieben. Mit seinem so genannten Nerobefehl vom 19. März 1945 verlangte er von allen Deutschen, den Kampf ohne Rücksicht auf Verluste so lange wie möglich weiterzuführen. Der Anti-Hitler-Koalition war damit klar, dass das Kriegsende nur durch einen vollständigen militärischen Sieg herbeigeführt werden konnte. Berlin musste erobert werden.
Die Einnahme der deutschen Hauptstadt hatte Josef Stalin seinen Soldaten immer wieder vor Augen gehalten, um deren Kampfgeist nicht erlahmen zu lassen. „Nach Berlin“ war ein allgegenwärtiger Schlachtruf. Drei Jahre lang hatte sich die Sowjetunion im eigenen Land verteidigen müssen. Danach galt es “Europa vom Faschismus zu befreien”. Anfang 1945 besetzte die Rote Armee Ostpreußen. Ihre Spitzen unter dem Befehl von Marschall Georgi Schukow stürmten gleich weiter durch Polen hindurch bis an die Oder, an der sie Ende Januar 1945 zum Stehen kamen. Schukow wäre sofort zum Angriff auf Berlin übergegangen. Aber Stalin stoppte seinen ehrgeizigen Feldherrn. Für die am 16. April begonnene “Berliner Operation” bekamen die Fronttruppen zweieinhalb Monate Vorbereitung.
Die Eile der Roten Armee hatte auch eine machtpolitische Dimension für die Nachkriegszeit. Stalin vertraute nicht allein auf die Regelungen für die Nachkriegszeit, die die Anti-Hitler-Koalition auf ihren Kriegskonferenzen traf. Immer behielt er im Blick, wo bei Kriegsende seine Truppen eines Tages stehen würden. Ostmitteleuropa betrachtete er als sowjetisches Einflussgebiet, was ihm von seinen Kriegsverbündeten Großbritannien und den Vereinigten Staaten letztlich auch zugestanden wurde. Berlin aber war ein Symbol. Vor allem der britische Regierungschef Winston Churchill wollte mit Blick auf die Nachkriegszeit den sowjetischen Einfluss eindämmen. Er drängte den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die Reichshauptstadt nicht allein der Roten Armee zu überlassen. Dieser aber ließ sich von militärischen Überlegungen leiten. Das schloss auch die Vermeidung der zweifelsohne großen Verluste ein, die die Einnahme Berlins fordern würde. Britische und amerikanische Truppen blieben an der Elbe stehen. Am 25. April reichten sie in Torgau auf der zerstörten Brücke über die Elbe den sowjetischen Kampfgefährten die Hand.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits Berlin eingekreist. Eilig kämpften sich die sowjetischen Soldaten bis zum Stadtzentrum vor. Ganz bewusst hatte Stalin die Oberkommandierenden der beiden angreifenden Heeresgruppen in einen Wettlauf um den Sieg geschickt. Rücksichtslos trieben sie ihre Truppen voran. Berlin kapitulierte am 2. Mai vor den sowjetischen Truppen, die die Reichshauptstadt in knapp zweiwöchigen Straßenkämpfen eingenommen hatte. Am Ende war es eine Marschall Georgi Schukow unterstehende Einheit, die als Symbol des Sieges die rote Fahne auf dem Reichstag hisste. Schukow ging in die sowjetische Geschichtsschreibung als der Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“ ein.
Zum Autor
Dr. Jörg Morré, geboren 1964, studierte Geschichtswissenschaften, Russistik und Erziehungswissenschaften an der FU Berlin und der Universität Hamburg. Er promovierte in osteuropäischer Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Morrè war von 1996 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Gedenkstätten Sachsenhausen und Bautzen, seit 2009 ist er Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.